: Gestern brisant, heute zäh
■ Havels »Gauneroper« auf den Berliner Festspielen, Regie: Jiri Menzel
Herr Peachum beugt sich den Spielregeln der Welt und tut, was alle tun: Betrügen und betrogen werden. Ihm tun es alle Figuren der »Gauneroper« von Vaclav Havel gleich. Oscar Wilde hat gezeigt, wie witzig das sein kann. Havel zeigt wortreich wider Willen, wie öde die Intrige sein kann.
Die angemessene Bühnenumsetzung war jetzt unter der Regie von Jiri Menzel im Hebbel-Theater als erstes Stück der Reihe »Theater aus Prag« der Berliner Festwochen zu sehen. In wächserner Statik, Einheitsbühnenbild und karg düsterer Beleuchtung wühlten sich die Schauspieler zwei zähe Stunden lang durch einen zähen Text.
Havel hatte sich die alte Bettleroper von John Gay vorgenommen. Die war schon Quelle der »Dreigroschenoper« Brechts gewesen. Gemeinsam haben beide Versionen nur das altbekannte Personal — Macheath, Peachum, Polly und Jenny. Was bei Havel fehlt: die Musik. Und leider auch: Biß und Raffinesse.
Dafür wird das Publikum gründlich belehrt, daß die Welt voller Lüge und Verrat ist. Vorgeführt in endlosen Dialogen. Peachum betrügt Macheath betrügt Jenny betrügt Macheath betrügt Polly und immer so weiter. Statt Weillscher Klänge tönen bei Havel Wortkaskaden und — in der Inszenierung von Jiri Menzel — altmodische Operngesten. Die sind zwar ironisiert. Wenn aber Polly Peachum zum x-tenmal als heilige Einfalt ins Publikum spricht, läuft sich der Gag tot. Ebenso wenig aufregend ist der sanftäugige Macheath bei seiner soundsovielten verräterischen Verführungstirade.
Jaroslav Vostry, Intendant des Prager Theaters »Cinoherni Club«, erinnert sich an die Aufführungsgeschichte: »Die Gauneroper reagiert unmittelbar auf die Situation, die wir aus dem vorigen Regime kennen, auf die Zeit allgemeiner Verdächtigung und allgemeiner Lüge«. 1972 geschrieben, wurde das Stück erst 1990 offiziell in Prag uraufgeführt. Inoffiziell hatte es kurz nach seiner Entstehung in einem kleinen Dorf in der Nähe von Prag die eigentliche Premiere gegeben. Ein Skandal wurde vermieden, aber, so Vostry, »die Premierenbesucher hatten danach Schwierigkeiten im Berufsleben«. Bei der Neuaufführung vor zwei Jahren reagierte das tschechische Publikum, als ob das Stück gerade erst geschrieben worden wäre, »die Situation war allen noch frisch im Gedächtnis.«
Dabei will Vaclav Havel die »Gauneroper« nicht als Satire verstanden wissen, die sich auf eine konkrete historische Situation bezieht. »Geradezu glücklich wäre ich, wenn die Zuschauer in diesem Stück vor allem eine Aussage über die Welt fänden, in der sie selbst leben«, schreibt er. Die — übrigens heftig beklatschte — Aufführung im Hebbel- Theater dokumentierte den Verlust der einstigen Brisanz unter veränderten Verhältnissen. Marion Löhndorf
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