: Das Geheimnis der stummen Angst
Ein Dokumentarfilm über sexuellen Mißbrauch im Fernsehen in den USA ■ Aus San Francisco H.-H. Kotte
Eine Dokumentation über die dunkle Seite der sogenannten family values, die die US-Rechte in einem „Glaubenskrieg“ verteidigen will, bewegte Ende vergangener Woche die Fernsehnation:
„Scared Silent — Exposing and Ending Child Abuse“, eine Dokumentation des TV-Producers Arnold Shapiro über sexuelle und physische Gewalt gegen Kinder.
Die drei großen Networks ABC, CBS und NBC sowie das öffentliche Fernsehen PBS strahlten dieses Filmdokument am Freitag und Sonntag aus — in einer seltenen konzertierten Aktion!
Nach Auskunft von King World Productions in New York, der Firma, die Shapiros Produktion weltweit vertreibt, wird dieser Film über sexuellen Mißbrauch vermutlich bald auch hier zu sehen sein. „Wir haben das Programm allen öffentlichen und kommerziellen Stationen in Deutschland angeboten“, sagte Fred Cohen von King World der taz. Rückfragen habe er jedoch noch nicht erhalten.
„Scared Silent“ (sehr frei übersetzt: Stumme Angst) zeigt Fallstudien über sexuelle und körperliche Gewalt gegen Kinder und Interviews mit TherapeutInnen. Am heftigsten aber nehmen die ersten Minuten die ZuschauerInnen mit, eine Konfrontation des Vaters und Vergewaltigers Del (48) mit seiner Tochter Eva.
Del, der selbst als Kind von einem 20jährigen Nachbarn mißbraucht worden war, hat seine Tochter mehr als zehn Jahre lang vergewaltigt: „Ich konnte kaum abwarten, bis sie erwachsen genug für den Geschlechtsverkehr war.“
Nach drei Jahren Trennung setzt sich Eva ihrem Vater vor der Kamera wieder aus. Er sagt: „Bis es dich gab, habe ich mich nicht liebenswert gefühlt.“ Die Tochter antwortet: „Jetzt geht es mir so. Aber das ist für mich noch lange kein Grund, nun meine eigenen Kinder zu mißbrauchen.“
Tasha, 15, spricht in einer Therapiesituation darüber, warum sie Gefallen daran fand, einen siebenjährigen Jungen zu vergewaltigen und ihm den Arm zu brechen. Sie selbst war zehn Jahre lang von ihrem Bruder mit Flaschen und Besenstielen vergewaltigt worden.
Jill, 53, erzählt von ihrer Kindheit, die sie, geschlagen mit und von einem sadistischen Vater, in „einer Atmosphäre, ähnlich einem Konzentrationslager“ verbrachte. Und dann ist da noch der Wutanfall, bei dem Jill mit einer Gardinenstange ihren dreijährigen Sohn tötete.
„Scared Silent“ versucht auch zu ergründen, warum die sexuelle und physische Gewalt so oft und so lange ein Geheimnis bleibt, warum selbst engste Familienmitglieder nichts davon erfahren. „Kinder tolerieren fast alles, wenn sie dadurch die Familien zusammenhalten können“, erklärt die Therapeutin Barbara Duncan.
Der Kritiker des Magazins Newsweek bescheinigte dem Dokumentaristen Shapiro, „eine bewundernswerte Arbeit“ geleistet und „dunkelste Geheimnisse ans Licht“ geholt zu haben. Allerdings gleite „Scared Silent“ manchmal „ins billige Fernsehspiel ab“, wenn etwa den Bildern sentimentale Folksongs unterlegt werden.
Insgesamt sei die Dokumentation aber weit entfernt von einer Mißbrauch-Schmonzette wie dem Hollywoodfilm „Herr der Gezeiten“ mit Barbra Streisand und Nick Nolte.
Durch die Sendung „Scared Silent“ führt die US-Talk-Show-Königin Oprah Winfrey. Sie sagte kürzlich öffentlich, daß auch sie in ihrer Kindheit sexuell mißbraucht wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen