piwik no script img

Szenen, Blut, Schweiß und Gähnen

■ Das 5. Media Art Festival fand vom 2. bis 6.September in Osnabrück statt

Szenen eines Medienfestivals: Experimentalfilmnestor Werner Nekes steht am Saaleingang und verkündet, Kollegin Dore O. sei besoffen und könne nicht kommen. Vorführer feixen über die aktuellen Pannen, Journalisten über die Tatsache, daß erst am vierten Festivaltag der Leinwandkasch dem Bildformat angepaßt wird. Der Filmemacher i.R. markus, ein altkluges Kind mit rotgefärbten Haaren, in den vergangenen Jahren verläßlicher Lieferant amüsanter, gutgemachter Animationsfilme, räsonniert über den bedauerlichen Umstand, daß er als nunmehr hauptberuflicher Trickzeichner wenig Lust verspüre, nach Feierabend noch Stift und Pinsel zu führen. Ein Frühvollendeter also. Breit grinsend giftet er gegen alles, was auf Leinwand und Bühne vonstatten geht.

Viel Elend haben die alten Festivalhasen schon gesehen, viel auch von dem, was in diesem Jahr ins Räderwerk der Projektoren geriet oder auf Magnetband gebannt wurde. Birgit Heins Menstruationsblut — hatten wir schon. Michael Brynntrups stilisierte Experimentalmelodramen — der Kongreß gähnt. Effektvolle Computeranimationen, die wie Werbeclips einschlägiger Programmanbieter wirken — sieht man ebenso bunt auch nebenan im Schaufenster des Computershops. Keine Videoinstallation, zu der einem nicht ein bekanntes Vorbild einfiele... Mürbe, lethargisch fast nörgeln sich die TeilnehmerInnen durch das fünftägige European Media Art Festival.

1980 von Osnabrücker MedienstudentInnen als Experimentalfilm Workshop gegründet, avancierte es im Zuge der vor fünf Jahren erfolgten Konzeptänderung zum spätsommerlichen Treffpunkt der internationalen Medienkunstszene.

Ermangelte es der Auswahl aus Arbeiten des Produktionsjahres 1991/92 an Höhepunkten, so sorgte die Werkschau mit Filmen des russischen Regisseurs Vladimir Kobrin für Begeisterung. Kobrin, der selbst in seiner Heimat kaum bekannt ist und von dem bislang in Deutschland nur ein Film im Rahmen der Oberhausener Kurzfilmtage vorgestellt wurde, gilt als die Entdeckung des diesjährigen Festivals. Kobrin ist Jahrgang 1942, graduierter Kameramann und bildet am Kobrin-Schul- Studio den Nachwuchs aus. Seine Filmographie umfaßt Dokumentar- und Lehrfilme, darunter ein Zyklus über Bio-Physik. Von den Naturwissenschaften sind auch seine experimentellen Filme beeinflußt. Mit zum Teil einfachen und altbewährten Kameratricks gelingen Kobrin phantasievoll-surreale Tableaus, die jede noch so aufwendig erstellte Computeranimation geradezu armselig erscheinen lassen. Kobrin beraubt alltägliche Dinge ihrer gewohnten Funktion und rückt sie in überraschende Zusammenhänge, collagiert und konstruiert seltsame Maschinen sowie roboterartige Figuren aus Fundstücken aller Art — er läßt die Gegenstände, so umschrieb es sein Kameramann Kamionsky, handeln wie Personen. Durchgängiges Thema ist die Zeit, illustriert in Form von Bewegungsabläufen und symbolisiert durch eine Vielzahl von Uhren, deren Zifferblätter und Zeiger wiederum Assemblagen sind aus Utensilien, Naturalien, Altmetall.

Einige seiner Filme lassen vermuten, daß Kobrin fasziniert ist von Vergänglichkeit, von Verfall und Verwesung. Das verbindet ihn mit seinem westlichen Kollegen Peter Greenaway, dem gleichfalls eine Werkschau gewidmet war, ein Programm mit Kuriosa aus jener Zeit, als der mittlerweile für elaborierte Filmkunst bekannte Regisseur Auftragsarbeiten für die Filmreihe „This Week in Britain“ des britischen Central Office of Information erledigte, allesamt kurze Beiträge, die in sonntäglichen Magazinsendungen mit Familienpublikum nicht unangenehm auffallen würden. Aber auch in diesen kleinen Features war gelegentlich der durchtriebene Humor Greenaways spürbar, der den Schlüssel zu seinem Gesamtwerk darstellt. In den Worten des Meisters: „Ich denke, Ironie in ihrer besten Form bedeutet ein Höchstmaß an Toleranz, denn sie hilft in jedem Fall, Verständnis für die Sichtweise des anderen zu entwickeln.“ Und sie hilft, schweißtreibende Großereignisse wie europäische Medienkunstfestivals unbeschadet zu überstehen. Harald Keller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen