: Atomunfall in Litauen
■ Rohrbruch im AKW Ignalina/ 1.500-MW-Reaktoren sind für schlechte Technik und laxe Mannschaft berüchtigt
Berlin (taz) — Im Atomkraftwerk Ignalina in Litauen hat ein Rohrbruch am Samstag einen Störfall verursacht. Nach Angaben der finnischen Strahlenschutzbehörde ist eine Wasserleitung, die nur schwach radioaktiv belastet sei, gebrochen. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien dagegen meldete, ein Rohr des Primärkreislaufes bei einem der beiden 1.500-Megawatt- Reaktoren vom Typ Tschernobyl sei geplatzt.
Gerhardt Schmidt vom Öko-Institut kommentierte gestern: „Wenn es sich um ein Druckrohr aus dem Kern handelt, bedeutet schwach radioaktiv eigentlich hoch radioaktiv. Das wäre dann ein relevanter Störfall.“ Bei einem solchen Rohrbruch werde eine Menge radioaktiver Dampf frei. Eine Abgabe von Radioaktivität an die Umgebung sei dann relativ wahrscheinlich. Der Kraftwerkschef in Ignalina bestritt laut dpa, daß radioaktive Strahlung freigeworden sei.
Die IAEA hatte von der litauischen Regierung bis gestern keine direkte Nachricht erhalten. Ihre Informationsquelle waren skandinavische Strahlenschutzbehörden. Das Verhalten der Litauer bedauerte der Sprecher der Behörde, David Kyd. Die Regierung in Wilna haben zwar den Antrag auf Mitgliedschaft bei der IAEA gestellt, aber bisher ihre Beiträge noch nicht bezahlt. „Sie sind nicht verpflichtet, uns zu informieren.“ Zugang zu dem Meiler habe die IAEA bislang nicht gehabt.
Ein Sprecher von Finnlands Strahlenschutzbehörde sagte, der Unfall zeige erneut, daß das Kraftwerk technisch in schlechtem Zustand sei und die Kontrollmechanismen nicht ausreichten. Die Moral der Bedienungsmannschaft sei nicht gut, wenn auch nicht so schlecht wie vor einem Jahr.
Im vergangenen Sommer war Ignalina in die Schlagzeilen geraten, weil ein Betriebsingenieur des AKW einen Virus in den Zentralrechner geschleust hatte. Der Mann wollte den Virus selbst wieder entfernen und dafür eine Prämie kassieren. Ende Juli 1992 war in Ignalina radioaktives Heliumgas ausgetreten. Die litauischen Behörden hatten mehrere Tage versucht, den Störfall zu vertuschen.
Zahlreiche westliche Politiker, darunter der deutsche Umweltminister Klaus Töpfer, verlangen seit längerem die Schließung des Kraftwerks, das etwa die Hälfte des gesamten litauischen Strombedarfs deckt. Die Regierung in Wilna will die gefährliche Anlage dagegen noch 20 bis 30 Jahre betreiben. ten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen