: „Sie haben gefragt, ob hier Fidschis wohnen“
Das Pogrom von Halle/ Jugendliche Skins greifen Wohnungen von Vietnamesen mit Brandflaschen an Mehrere Verletzte, acht Festnahmen/ Die Überfallenen haben Angst vor dem nächsten Anschlag ■ Von B. Markmeyer und D. Krell
Halle (taz) — Die Wände im Hausflur sind schwarz, verkohlte Kabel krümmen sich an der Wand, von der Hitze des Feuers hat sich die Glühbirne verformt. Nur noch der Rahmen der Haustür hängt in den Angeln, der Rest ist verbrannt. Im zweiten Stock eines Mietshauses in der Merseburger Straße in Halle haben fünfzehn Skins am Sonntag abend einen Brandsatz gegen die Haustür einer vietnamesischen Familie geworfen. Die Tür brannte sofort, das Feuer breitete sich schnell in der Wohnung aus. Im Schlafzimmer klebt ein verkohlter Schuh am Boden, die Schränke stehen offen, ein Teil der Kleidung ist verbrannt. Auch in der Küche liegt eine dicke Rußschicht auf Tisch und Stühlen. „Sie haben erst bei mir geklopft und gefragt ob hier Fidschis wohnen“, sagt Doreen Schäfer, die mit ihrem Kind ein Stockwerk höher wohnt. „Ich habe gesagt, hier wohnt niemand. Dann gingen sie runter und dann knallte es.“ Kurz darauf, schildert Frau Schäfer, war das Treppenhaus mit Rauch erfüllt. Sie selbst war mit ihrer Tochter in ihrer Wohnung eingeschlossen. Erst nachdem die Feuerwehr kam, konnte sie mit ihrem Kind über eine Leiter aus der Wohnung gerettet werden. Die Vietnamesen aus der Wohnung unter ihr liegen noch mit Rauchvergiftungen im Krankenhaus, ebenso wie vier Kinder einer deutschen Familie, deren Wohnung nebenan ebenfalls Spuren der Zerstörung aufweist. Die Eltern stehen auf der Straße vor ihrem Haus und schildern, noch stark schockiert, wie sie in der Nacht ihre Kinder durch das brennende Treppenhaus nach draußen getragen haben. Gestern konnte die Hallenser Polizei noch keine Angaben darüber machen, ob die Skins, die den Brandsatz in der Merseburger Straße warfen, dieselben waren, die zwei Stunden zuvor Vietnamesen in ihrer Wohnung in der nicht weit entfernten Dieskauer Straße angegriffen hatten. Im Hause Dieskauer Straße wohnen zwanzig Vietnamesen in fünf Wohnungen. Die acht Jugendlichen, die nachts unweit des Tatorts in der Merseburger Straße verhaftet worden waren, wurden gestern Nachmittag noch verhört. Auch in der Dieskauer Straße stehen die Vietnamesen noch unter Schock. Auf dem Boden des Schlafzimmers und in der Küche liegen noch die Steine, die die Skins hier durch die Fenster geworfen hatten. Die Fensterscheiben sind zerstört. Eingeschmissen wurden auch die Fenster in der benachbarten Wohnung eines deutschen Ehepaares. In der Dieskauer Straße waren die Skins gegen 19 Uhr erschienen. Es war noch hell. Sie schrien „Ausländer raus“ und warfen Steine auf die Fenster der Vietnamesen im zweiten Stock. In die Küche flog auch ein Brandsatz, eine Benzinflasche, die sich aber nicht entzündete.
Eine Freundin, die bei den vietnamesischen HausbewohnerInnen zu Besuch war und in diesem Moment aus der Haustür trat, wurde von den Skins mit einem Brandsatz beworfen, so daß ihre Hose zu brennen anfing. Die Frau erlitt schwere Verletzungen an den Unterschenkeln und Füßen. „Sie hat große Blasen und hat geweint vor Schmerzen“, schildert einer der Vietnamesen. „Aber wir konnten ihr nicht helfen, da die Skins noch da waren.“ Ein deutscher Nachbar hob die Frau schließlich auf, trug sie in seine Wohnung und rief den Arzt. Sie liegt im Krankenhaus.
Die Polizei fühlt sich überfordert
Polizeisprecher Ralf Berger betonte gestern, daß die Polizei seit der Rostocker Randale zwar AusländerInnenheime hermetisch abriegle, mit dem Schutz von Privatwohnungen aber überfordert sei. Indizien dafür, daß die nächtliche Aktion gesteuert gewesen war, habe die Polizei nicht, erklärte Berger. Doch der Tatverlauf deutet darauf hin. Die VietnamesInnen in beiden Häusern leben mit einer Aufenthaltsbewilligung entsprechend des Einigungsvertrages in Deutschland. Etwa 300 seien noch in Halle an der Saale gemeldet, teilt der Ausländerbeauftragte der Stadt, Manfred Woitinas, mit. Überfälle in dieser Art hatte es in der Stadt bisher nicht gegeben. Doch in den vergangenen Tagen hatten auch zwischen Peißnitz und Saale Neonazis verstärkt Flagge gezeigt. Die städtischen Behörden reagierten auf den Rassismus bisher lediglich, indem sie Flüchtlingsheime aus dem besonders konfliktträchtigen Betonviertel Halle-Neustadt in andere Gegenden verlegen. Auch die jugendlichen Brandstifter stammen aus Halle-Neustadt. Ein Mitarbeiter des Eine-Welt-Hauses in Halle empfängt „täglich Hilferufe und Notrufe“ bedrohter AusländerInnen. Ihn beunruhigt besonders, daß die Rassisten offenbar gut informiert sind und zielgerichtet vorgehen. Die Vietnamesen, die bereits im Januar überfallen worden waren, haben seitdem ein Funktelefon, das sie gemeinsam finanzieren, um bei Überfällen schnell Hilfe rufen zu können. „Ich befürchte“, sagt einer der beiden Männer, „daß sie wiederkommen.“ Er habe unter den etwa 15 Skins vom Sonntagabend einen der Männer wiedererkannt, der ihn mit vier anderen zusammen bereits im Januar in seiner Wohnung überfallen und ihm Geld aus dem Schrank geraubt hatte. Die Vietnamesen haben die Wohnungstür, die im Janaur eingeschlagen worden war, mit einer massiven Holzplatte versperrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen