»Der Mord an Gerhard Kaindl brachte nichts«
■ Zu dem im Frühjahr verübten Mord an dem Mitglied der rechtsextremen »Deutschen Liga für Volk und Heimat« nehmen antifaschistische Kreise erstmals Stellung/ Diskussion um Gewalt gegen Menschen/ Bislang keine Spur von den Tätern
Berlin. Der im April dieses Jahres verübte Mord an Gerhard Kaindl, einem Mitglied der neonazistischen »Deutschen Liga für Volk und Heimat«, bleibt weiterhin im Dunkeln. Nachdem zunächst eine Sonderkommission der Polizei die Ermittlungen aufgenommen hatte, liegt der Fall nun bei der Staatsanwaltschaft. Wegen des »laufenden Ermittlungsverfahrens« wollte man sich derzeit dazu gegenüber der taz nicht äußern.
Zur Vorgeschichte: Kaindl saß am Abend des 4. April mit anderen stadtbekannten Neonazis in einem China-Restaurant in Neukölln, als eine Gruppe von sechs bis acht Vermummten in das Lokal stürmte. Kaindl wurde mit einem Messerstich in den Rücken getötet, Thorsten Thaler, Mitglied des Landesvorstandes der »Liga«, mußte schwer verwundet ins Krankenhaus eingeliefert werden. Kurz nach dem Mord wurde darüber spekuliert, ob der Angriff dem ebenfalls anwesenden Carsten Pagel gegolten haben könnte. Pagel war zuletzt Landesvorsitzender der »Republikaner« (Reps) gewesen. Auch Thaler und Kaindl hatten den Reps angehört und waren nach parteiinternen Auseinandersetzungen Ende September letzten Jahres ausgetreten.
Die »Liga« wurde am 3. Oktober 1991 in Westdeutschland aus der Taufe gehoben und ist ein Sammelbecken rechter Kräfte von den Reps über die NPD und DVU bis zu Teilen der »Deutschen Allianz«. Aus Anlaß ihres einjährigen Bestehens wollte sie urprünglich ihre bundesweite Delegiertenversammlung am »Tag der deutschen Einheit« in Berlin abhalten. Wie der Landesvorsitzende Frank Schwerdt erklärte, wurde die Veranstaltung nun wegen des Kommunalwahlkampfs nach Nordrhein- Westfalen verlegt.
In der linken Szene wird nun seit geraumer Zeit der Mord an Kaindl diskutiert. Wir dokumentieren Auszüge aus der Stellungnahme, die jetzt im Antifaschistischen Info erschien. Severin Weiland
Gewalt ist letztes Mitttel
Wir halten Gewalt gegen Menschen für das letzte Mittel im Kampf. Die Menschen, die sich aus rationalen Gründen für ein gewaltsames Vorgehen entscheiden, müssen sich ihrer Verantwortung bewußt sein. Dazu gehört auch die Wahl der Waffen, die so getroffen werden muß, daß nichts passiert, was nicht das eigentliche Ziel der Aktion war. Konkret heißt das: Es gibt Waffen, deren Wirkung schwer zu kontrollieren ist. Sie verlangen einen ganz besonders verantwortungsvollen Umgang. Messer und Baseballkeulen haben zum Beispiel eine solche Wirkung. Außerdem muß eine Unterscheidung getroffen werden zwischen Waffen, die der Selbstverteidigung dienen und anderen, weniger gefährlichen Gegenständen.
Nun wissen wir, daß schon ein einfacher Faustschlag im Zweifelsfalle tödlich sein kann. Doch wer sich für gewaltsame Methoden entscheidet, muß seinerseits das Risiko ungewollter Ergebnisse so gering wie irgend möglich halten. Darüber hinaus ist es unsere Verantwortung, Einfluß auf andere zu nehmen, damit sie ebenfalls mit einem Höchstmaß an Verantwortung vorgehen.
Gewalt ist alles andere als ein Spiel.
Unter politischen Gesichtspunkten hat der Tod Kaindls gar nichts gebracht. Dieser Tod war für uns so nötig wie ein Kropf. Selbst die wichtigste Führungsperson des militanten Nazi-Spektrums, Michael Kühnen, war leicht zu ersetzen, als er starb. Die GdNF (»Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front«, Zusammenschluß neonazistischer Gruppen — d. Red.) ist heute eher gestärkt. Da die Tötung eines Menschen — moralisch betrachtet — immer eine Schuld bedeutet, ist hier die Frage nach der konkreten Zielbestimmung der Aktion besonders wichtig. Unter rationalen Gesichtspunkten halten wir eine weitere Eskalation des Konflikts zur Zeit von uns aus nicht für angebracht — nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch, weil wir im Moment technisch gar nicht in der Lage sind, einer echten bewaffneten Auseinandersetzung standzuhalten.
Darüberhinaus können wir uns noch einen weiteren Grund vorstellen für die Entscheidung, einen Menschen umzubringen. Dieser Grund kommt in der Parole »Jetzt reicht's« zum Ausdruck. Wir halten Haß für einen schlechten politischen Ratgeber.
Auch wir sind Menschen mit Gefühlen und denken oft an Rache. Aber politisch betrachtet lehnen wir diese irrationale Kategorie ab. Rache hat in unserer Gesellschaft keine Funktion. Sie befriedigt ein Gefühl, sie bedeutet Genugtuung, aber sie verbessert unsere Situation nicht, sie kann sie sogar verschlechtern. (Das heißt nicht unbedingt, daß die Beantwortung faschistischer Aktionen falsch ist, es geht hier um das Motiv der Rache.)
Wir können auch nicht verstehen, wie politisch bewußte Menschen, Menschen, die sich lange mit intensiven Analysen dieser Gesellschaft befassen, bei der Erwähnung von Kaindls Tod jubeln können. Das geschah zum Beispiel auf der Demo zum 20.April in Berlin. Selbst wenn dieser Tod nützlich gewesen wäre und wir ihn im Prinzip gutheißen würden — der Tod eines Menschen ist nie ein Anlaß zur Freude.
Wir schließen uns der Auffassung Malcom X' an, und erklären, daß wir den Kampf nicht mit allen möglichen Waffen führen werden, sondern mit allen, wirklich allen, die sich nach rationalen Gesichtspunkten uns unserer Auffassung von Moral im politischen Kampf als nötig erweisen.
Darum fordern wir alle Menschen, die ein wirkliches Interesse an der Zurückdrängung der Faschisten haben, auf, ihre Rachegefühle zurückzustellen und den Kampf nach Erwägungen der Zweckmäßigkeit zu führen, zu verstärken und voranzutreiben, mit allen Mitteln, die sich als nötig erweisen — by any means necessary!