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Morddrohungen gegen kurdischen Schwulen

■ Aktivist der »Aktion Standesamt« vermutet islamische Fundamentalisten hinter Telefonterror/ Polizei kann nicht für seine Sicherheit garantieren

Berlin. Bei der »Aktion Standesamt« am 19.August gehörte Selman Arikboga zu den glücklich verliebten Homo-Paaren. Doch nach zahlreichen Interviews und einem endlosen Blitzlichtgewitter kam für den jungen Kurden das böse Erwachen. »Wir wissen wo du bist! Wir verfolgen dich! Bald bist du tot!« So oder ähnlich melden sich jetzt anonyme Anrufer in seiner Wohnung und auch an seinem Arbeitsplatz.

Der massive Psychoterror zeigt unterdessen seine Wirkung. »Ich bin total depressiv geworden, nachts habe ich Alpträume, wenn ich überhaupt mal zum Schlafen komme und tagsüber traue ich mich kaum noch alleine auf die Straße!«, zeigt sich Arikboga stark verunsichert. Hinter den Einschüchterungsversuchen vermutet der im türkisch besetzten Kurdistan geborene Arikboga eine Gruppe islamischer Fundamentalisten.

Im Koran wird die »Unzucht unter Männern« verurteilt. Jede öffentliche Darstellung von Homosexualität sei eine schwere Sünde, meint Mohammed Herzog, Leiter der deutschsprachigen Muslime in Berlin. Trotzdem könne die religiöse Rechtsprechung (»Schura«) nur in islamischen Ländern angewendet werden. Diese Meinung vertraten auch andere Glaubensgelehrte, die aber aus Angst ihre Namen nicht nennen wollten. »Homosexualität ist zwar eine Krankheit, aber eigentlich müßten die bestraft werden, die solche Morddrohungen aussprechen.«

Selman Arikboga, der auch Vorsitzender der Ausländergruppe »Schwule Internationale« ist, befürchtet jedenfalls das Schlimmste. »Bei dem Schriftsteller Salman Rushdie hat man gesehen, wozu diese Leute alles fähig sind!«

Die Polizei sieht sich derweil außerstande, für die persönliche Sicherheit Arikbogas Sorge zu tragen. Ein Polizeibeamter ließ durchblicken, daß erst etwas passieren müsse, damit die Polizei richtig eingreifen kann. Soweit will es Arikboga aber nicht kommen lassen. Gestern entschloß er sich, kurzfristig unterzutauchen und Deutschland zu verlassen. Sein gegenwärtiger Aufenthaltsort ist streng geheim.

Der Rechtsstaat habe vor fanatischen Fundamentalisten kapituliert, kritisierte daraufhin der Berliner Schwulen-Verband (BSV). »Wir fragen uns, ob die Polizei nur Leichen schützt!«, so der zynische Kommentar des BSV-Vorsitzenden Bernd Stürzenberger.

Auch das Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in der Senatsjugendverwaltung forderte präventive Schutzmaßnahmen. »Wir wollen schließlich, daß Lesben und Schwule in der Öffentlichkeit auftreten. Dann müssen wir sie hinterher auch schützen«, erklärte Referatsmitarbeiter Claus Nachtwey.

Freundliche Unterstützung gab es auch von Seiten der Ausländerbeauftragten. Dort, so Arikboga, sei man bereit, eine telefonische Fangschaltung in seiner Wohnung mitzufinanzieren. Weniger Solidarität zeigt seine seit kurzem offen lesbische Bezirksbürgermeisterin. Monika Wissel (SPD) erklärte in ihrer Bürgersprechstunde: »Selman wußte, worauf er sich einläßt!« Als Bezirksbürgermeisterin könne sie nichts unternehmen, das sei einzig und allein die Aufgabe der Polizei.

Wie lange Selman Arikboga jetzt untertauchen muß, ist noch unklar. Ein ständiges Versteckspiel kommt für ihn aber nicht in Frage: »Ich kann mir doch nicht jeden Monat eine neue Wohnung suchen und alle 14 Tage eine andere Telefonnummer beantragen!« Marc Kersten

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