: Nachkriegskater im Nahen Osten
Für die arabischen Staaten war der Golfkrieg mit 620 Milliarden Dollar ein riesiger finanzieller Verlust ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Die Bilanzbuchhalter im Pentagon konnten die gute Nachricht vor Monaten verkünden: Für die Vereinigten Staaten war der Golfkrieg ein Gewinnspiel. Unterm Strich enstand der Nettoüberschuß vor allem durch die japanischen und deutschen finanziellen Kriegsbeiträge. Ganz anders sieht dagegen die Gewinn-Verlust- Rechnung im Nahen Osten aus.
Nachdem am vergangenen Wochenende der „Vereinte Arabische Wirtschaftsbericht“ herausgegeben wurde, dürfte bei den arabischen Staaten erst einmal der Nachkriegskater einsetzen. Auf 620 Millionen Dollar schätzt der Bericht die gesamtarabischen Verluste. Dabei beliefen sich allein in Kuwait die Kriegsschäden auf 160 Milliarden Dollar. Die des Irak liegen sogar um 30 Milliarden höher. Das infolge des Golfkrieges ausgefallene Wirtschaftswachstum auf gesamtarabischer Ebene kostet die arabischen Länder laut Bericht 185 Milliarden Dollar. Die betroffenen Regierungen mußten tief in die Taschen greifen, um die Auswirkungen der Krise zu lindern. 85 Milliarden Dollar sollen sie dafür aufgewandt haben.
Dabei sah es in der Region noch zwischen 1987 und 1989 gar nicht so schlecht aus. Arabische Länder hatten in dieser Zeit immerhin ein durchschnittliches Wachstum von drei Prozent zu verzeichnen. Mit dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait ging es dann abwärts. Laut dem Bericht ist das arabische Bruttoinlandsprodukt 1990 um 1,2 Prozent gefallen, im darauffolgenden Kriegsjahr sogar um sieben Prozent. Die durchschnittliche Inflationsrate der arabischen Welt nähert sich mit 20 Prozent wieder den schlechten Zeiten der 70er Jahre.
Veröffentlicht wurde der Bericht nach einer Konferenz der arabischen Zentralbanken in Abu Dhabi. Neben dem Arabischen Währungsfonds beteiligten sich auch andere überregionale arabische Organisationen wie die Arabische Liga, die Opec und der Arabische Fonds für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung an der Ausarbeitung des Reports.
Berücksichtigt werden muß bei der Verlustrechnung aber, daß zwischen den arabischen Volkswirtschaften gravierende Unterschiede bestehen und sich in dieser Region sowohl die reichsten als auch die ärmsten Länder der Welt befinden. Agrarländer wie der Sudan mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 420 Dollar und Öl-Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate mit einem jährlichen Pro- Kopf-Einkommen von 18.430 Dollar sind entsprechend ihres Wirtschaftspotentiales in sehr unterschiedlichem Maße von den Golfkriegs-Folgen betroffen.
Auch bei den Ländern, die nicht direkt Kriegsschauplatz waren, verteilen sich die Verluste ungleich. Ägypten beispielsweise hatte nach der massenhaften Rückkehr von Gastarbeitern aus der Golfregion zunächst große Verluste zu beklagen. Auf 2,4 Milliarden Dollar schätzten ägyptische Ökonomen damals den jährlichen Ausfall an Überweisungen der Arbeiter aus den Golfstaaten. Dazu kam der Rückgang bei Tourismus-Einnahmen und Suezkanal-Gebühren. Für die Beteiligung an der Anti-Irak-Front wurde das Land aber entlohnt. Man erließ Ägypten die Hälfte seiner Auslandsschulden. Damit kam das Land am Nil relativ ungeschoren aus der Golf-Misere.
Ganz anders Jordanien, das sich nicht an der Anti-Irak-Allianz beteiligte. Besonders zu schaffen machte dem Land das UN-Embargo gegen seinen wichtigsten Handelspartner Irak. Geschätzte 4,5 Milliarden Dollar soll der Krieg das kleine Jordanien gekostet haben. Als Spätkriegsfolge bürden Tausende von Palästinensern, die aus den Golfstaaten ausgewiesen wurden, dem jordanischen Staatssäckel eine enorme Last auf. Die Auslandsschulden des Wüstenstaates haben sich seit 1980 auf derzeit 8,8 Milliarden Dollar vervierfacht.
Der Golfkrieg hat aber auch langfristige Folgen, die sich kaum in Zahlen ausdrücken lassen. Für den Weg aus der Wirtschaftskrise haben viele arabische Ökonomen nämlich seit langem das Vorbild EG im Auge und träumen von einem gemeinsamen arabischen Markt. Tatsächlich könnten dabei die großen Unterschiede zwischen den arabischen Ländern von Nutzen sein. Eine Form der Kooperation ist der Arbeitskräfte-Investitions-Austausch: Bevölkerungsreiche, aber arme Staaten wie Ägypten würden Arbeitskräfte in bevölkerungsarme reiche Ölstaaten auf der arabischen Halbinsel schicken und im Gegenzug mit Investitionen rechnen können.
Derartige Bemühungen sind seit dem Golfkrieg und der damit verbundenen Spaltung der arabischen Welt nun aber zunächst auf Eis gelegt. Den arabischen Zentralbankchefs blieb als einzige kollektive Aktion nur übrig, die gemeinsam angesammelten Miesen aus dem Golfkrieg zusammenzurechnen.
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