ie Verteilung der Hilfsgüter nährt den Haß

■ Selbst im vom Bürgerkrieg ruinierten Somalia gibt es Gegenden, wo die Landwirtschaft noch funktioniert. Was nicht klappt, ist die Verteilung - auch der Hilfs-güter. Die wird von rivalisierenden..

Die Verteilung der Hilfsgüter nährt den Haß Selbst im vom Bürgerkrieg ruinierten Somalia gibt es Gegenden, wo die Landwirtschaft noch funktioniert. Was nicht klappt, ist die Verteilung — auch der Hilfsgüter. Die wird von rivalisierenden Clans kontrolliert. Effektive Hilfe kann nur unter UNO-Schutz erfolgen; die ersten Blauhelme sollen am Samstag eintreffen.

Das kleine Dorf am Shebele- Fluß erweckt einen Eindruck friedlicher Genügsamkeit. In Berire, zehn Kilometer vor Mogadischu, gibt es kaum Hinweise auf den seit eineinhalb Jahren tobenden Bürgerkrieg, in dessen Folge Somalias Bevölkerung nun von einer der schlimmsten Hungerkatastrophen in der Geschichte der Menschheit bedroht ist: Der Mais steht hoch auf den Feldern, in etwa drei Wochen kann geerntet werden. Ein Mann treibt auf einem schmalen, von grünen Bäumen gesäumten Pfad am Fluß seine Kühe vor sich her. Beschauliche Ruhe. Hier wurde nicht gekämpft. Ist Berire verschont geblieben?

Das Bild trügt. Wenige hundert Meter vom Dorf entfernt nähern sich zögernd einige Frauen. Ein Wunder, daß sie überhaupt noch gehen können — abgemagert bis auf die Knochen gleichen sie lebenden Toten. „Mein Mann ist verhungert, und mir wird es bald genauso gehen“, sagt Cadija Ali Hassan und streckt flehend die Hand aus. „Ich habe nichts — nur Gras zum Essen.“ Mit vier Kindern ist die schwangere Frau vor vier Monaten aus der von Hungersnot schwer betroffenen Kleinstadt Baidoa geflüchtet, zwei sind inzwischen gestorben.

Warum helfen die Dorfbewohner nicht? „Wir haben selbst kaum etwas“, erklärt der Bauer Hamud Hadji Osman. Nur hier, unmittelbar am Fluß und auch nur während der Regenzeit wachse etwas Gemüse. Im allgemeinen aber sei die Ernte schlecht: „Wenn ich Wasser brauche, bekomme ich es nicht.“ Die Region gehört zu den fruchtbarsten Gegenden Somalias. Unweit des Dorfes waren seit 1978 im Rahmen eines italienischen Großprojektes 1.650 Hektar Land bewässert worden. Davon zeugen heute nur noch langsam rostende Leitungen auf den Feldern, die sich allmählich wieder in Buschland zurückverwandeln. Wasser allein könnte die Probleme ohnehin nicht lösen, viele Bauern haben aus Hunger ihr Saatgut aufgegessen. „Wir müssen die landwirtschaftliche Produktion wieder in Schwung bringen“, sagt Peter Chrichtan, der jetzt im Auftrag von UNICEF eine Hilfsaktion startet, die 16.000 Kleinbauern in verschiedenen Gegenden Somalias mit Saatgut versorgen soll. „Es ist wichtig, daß sich herumspricht, daß die Leute in ihre Dörfer zurückgehen können und Hilfe beim Neuanfang bekommen.“ Aber die Hoffnung der meisten Flüchtlinge auf Hilfe hat sich nicht erfüllt. Überall sind es gerade sie, die am meisten unter der Notlage leiden, weil sie sich am fremden Ort nicht auskennen. „Ich würde in Mogadischu nicht so ohne weiteres verhungern, weil ich viele Leute kenne, an die ich mich wenden könnte“, sagt der Arzt Hassan Osman, der in einem Krankenhaus der Hauptstadt arbeitet. „Aber die Nomaden, die sich hierher geflüchtet haben, wissen oft nicht, wohin sie gehen sollen.“ Für Außenstehende bietet Somalia damit oftmals ein Bild unbarmherziger Grausamkeit: Zwischen gutgenährten Männern und Frauen auf einem Markt, auf dem es Spaghettis, Tomaten und Fleisch zu kaufen gibt, kauert ein hohlwangiges Kind, kraftlos, mit dürren Armen und Beinen. Gibt es keine Solidarität? „Es ist schwierig“, meint Hassan Osman. „Als Arzt habe ich Mitleid mit den Hungernden. Aber ich kann ihnen nicht helfen, denn allein in meinem Haus leben 25 bis 30 Menschen, die ich unterstützen muß — und daß, obwohl ich kein Gehalt bekomme.“ Hassan Osman wird, wie auch seine Kollegen, von den Hilfsorganisationen nur mit Nahrungsmitteln versorgt, bezieht aber kein Einkommen.

Selbst in einem ruinierten Land wie Somalia gibt es immer noch Kamele, Kühe, Ziegen und landwirtschaftliche Produkte — Reichtümer in einer Situation wie dieser. Aber sie reichen nicht aus, um alle Notleidenden zu versorgen. So muß jeder zusehen, wie er sich selbst durchbringt. Das nährt den Haß derjenigen, die nichts mehr haben, auf die, denen wenigstens noch ein bißchen geblieben ist. Der Krieg in Somalia ist ein Verteilungskrieg. Und je größer die Not, desto kleiner werden die Gruppierungen, die einander bis aufs Blut bekämpfen. Die meisten hungernden, in Lumpen gekleideten Männer, Frauen und Kinder in der Kleinstadt Baidoa stammen aus umliegenden Dörfern. Die Stadtbevölkerung selbst scheint mit der Krise noch vergleichsweise gut fertig zu werden; hier gibt es noch fröhliche, pausbäckige Kinder und einen von bewaffneten Männern gut bewachten Markt.

Baidoa wird vom USC beherrscht, jener politischen Gruppe, die unter dem Oberkommando von General Farrah Aidid steht und inzwischen auch den größten Teil Mogadischus kontrolliert. Die meisten Hungernden aber sind Anhänger einer anderen politischen Gruppierung, der SDM. Offiziell sind sie Verbündete, aber unter der Oberfläche gärt es. „Die Leute vom USC zweigen fast die gesamte Nahrung für ihre Söldner ab“, behauptet Ali Muhammed Hassan von der SDM. „Wenn das so weitergeht, kommt es zum Kampf. Wir haben schon 1.500 Bewaffnete in der Stadt, und täglich werden es mehr.“ Ein neuer Graben im zerrissenen Somalia droht sich aufzutun. „Der Sieg wird unser sein“, glaubt Ali Muhammed Hassan. Wird nach neuerlichen Kämpfen in Baidoa wohl noch jemand leben, der sich als Sieger fühlen kann? Bettina Gaus, Mogadischu