Käptn Frahm - keine Panik auf der Titanic?

■ Ein ungewöhnlicher Kapitän - ein ungewöhnlicher Kurs: Hamburgs SPD-Chef Helmuth Frahm will den leckgeschlagenen SPD-Tanker flicken, modernisieren und auf eine neue Route bringen, aber...

, modernisieren und auf eine neue Route bringen, aber Bürgermeister möchte er nicht werden. Auch ein Senatorenamt reizt ihn nicht.

„Ein absurdes Abenteuer, mein neues Amt“ - Helmuth Frahm, Hausmann, beurlaubter Berufsschullehrer und ehrenamtlicher SPD-Landesfürst wundert sich noch immer über sich selbst. Soll wirklich er es sein, der die ruhmreiche Hamburger SPD aus einer der tiefsten Krisen ihrer Geschichte wieder zur Sonne, zur Freiheit führt? Wie er uns da in seinem blitzblanken Chefzimmer im Kurt-Schuhmacher-Haus gegenüber sitzt, im nachtschwarzen knitterechten Anzug an einem großen hellen Holztisch, unbehandelt, versteht sich, und neben einem winzigen Naturholzsekretär das einzige Mobiliar, da ist sie auf einmal unglaublich präsent, diese Absurdität, die das Amt eines Parteichefs in der Hamburger SPD hat. Allein (und alleingelassen?) gegen den Rest der Welt? Er kontert mit fröhlichem Optimismus: „Das Tal ist erreicht, die Wendemarke in Sicht.“ Sein Aufgabenpaket umreißt er mit der Vorfreude eines Ironman-Triathleten beim Start: Senat und SPD sanieren, die Partei profilieren, den Parteiapparat professionalisieren, grundlegende Reform von Partei, Staatsapparat und Regierung einleiten. Dies alles aber, so betont Frahm, bitte recht schnell: „Der Senat und der Parteivorsitz sind nicht ewig. Wir müssen Leistung auf Zeit bringen. Das wird bei uns noch viel zu wenig gesehen.“

Frahm, ein bißchen zu spät gekommen, wie meist, hat sich viel Zeit für uns genommen. Am Abend zuvor in Bonn Landeschefrunde bei Engholm, kurz vor unserem Gespräch Teilnahme an der alldienstäglichen Senatorenvorbesprechung (Frahm zu Eugen Wagner in Sachen Saga: „Hast Du das im Griff?“, Eugen: „Helmuth, ich hab das im Griff.“). Nach unserem Gespräch wird er Sohn Julian inklusive dreier Kumpane vom pädagogischen Mittagstisch abholen, schulpolitische Errungenschaft seiner Lebensgefährtin und Schulsenatorin Rosemarie Raab. Am Nachmittag ist Heimarbeit in der gewohnten Doppelbelastung angesagt: Er wird neben seinem neuen Faxgerät am Schreibtisch sitzen, telefonieren, dem Chaos einer Rasselbande von siebenjährigen Jungs standhalten und so nebenbei die noch über 20000 SPD-Mitglieder regieren.

Als er vor neun Monaten vom Ersten Offizier unter Landeschefin Traute Müller zum Käpt'n und ih-

1rem Nachfolger bestimmt wurde, fragten sich viele, ob dieser Intellektuelle mit schütterem Haar und seiner oft umständlich verwinkelten Ausdrucksweise wirklich das Patent zur Großen Fahrt besäße. Rechtes und linkes Lager beruhigten sich gegenseitig: „Er nützt zwar nichts, aber er schadet auch nicht.“

Dieser optimistische Pessimismus war wohlbegründet: In Hamburgs SPD zählt ein Parteivorsitzender nichts. Eine öffentliche Debatte wie etwa in Berlin mit dem bundesweit beachteten Thierse- Drama oder in Bayern mit dem sensationellen Einbruch von Renate Schmidt in die krachlederne Männerwelt ist hier unvorstellbar. In bester Kaufmannstradition haben auch die Elb-Sozis ihre ehernen, in der Öffentlichkeit wenig bekannten Spielregeln, die umso strikter eingehalten werden. Hamburgs SPD, so das ungeschriebene oberste Parteistatut, wird von dem Trio Bürgermeister, Fraktionschef und Parteichef geführt. Bürgermeister und Fraktionschef werden vom rechten Lager gestellt. Sie haben das Sagen. Nach außen heißt der immer aktuelle Tagesbefehl: Die Reihen fest geschlossen! Der Parteichef, Gallionsfigur der Linken, hat den Job eines Transmissionsriemens in der Partei: Er muß den GenossInnen klarmachen, warum es gut ist, was Regierung und Fraktion für (und gegen) sie und die Stadt tun.

Der brave Transmissionsriemen weiß freilich, daß seiner selbstlosen und unbezahlten Tätigkeit reiche Belohnung winkt: So sitzen Helmuth Frahms VorgängerInnen Traute Müller und Ortwin Runde heute im Senat. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich das Kräfteverhältnis in einer Dreierrunde auszumalen, in der zwei gut dotierte Jobs haben, von denen der Dritte vorerst nur träumen darf. Ungleich auch das Arbeitsumfeld: Bürgermeister und Fraktionschef stützen sich auf eine geölte Maschinerie von ZuarbeiterInnen, während der Parteichef im Nirwana schwebt. Irgendwie ganz oben zwar, aber einsam über den Bezirksfürstentümern, den Arbeitsgemeinschaften und jenem seltsamen Apparat von 18 Festangestellten in der SPD- Zentrale, die, wie in alteingesessenen Bürokratien üblich, das Kommen und Gehen irgendwelcher Vorsitzender mit stoischer Gelassenheit beobachten, zumal wenn diese bloß ehrenamtlich arbeiten.

1Nein, der Apparat braucht seinen Chef nicht fürchten.

Vielleicht aber täuscht sich der Apparat, vielleicht täuschen sich auch Henning Voscherau und Günther Elste und jene alten Haudegen der rechten und linken Bataillone, die im jahrzehntelangen Grabenkrieg gegen sich und die Außenwelt jene Duftmarke erzeugten, gegen die heute die Öffentlichkeit mit Politikverdrossenheit anstinkt. Eigentlich müßten die GenossInnen schon warnen, daß es Frahm nicht unbedingt zielstrebig, aber äußerst zäh, zur Parteispitze geschafft hat. Sein äußeres Image, das je nach Laune und Art seiner Parteigenossen vom Prädikat „fieser Leisetreter“ über „wuseliger Wackelpudding“ bis „guter Integrator“ reicht, diente ihm dabei als perfekter Deckmantel. Frahm verkörpert in einzigartiger Weise ein gutes Dutzend verschiedener SPD-Typologien. Dieses breite Repertoire hat ihn zum perfekten und nahezu einzigartigen Chamäleon gemacht. Eine kleine Auswahl:

Da gibt es den Harburger Altgenossen, der von der Pike auf, Wehner im Herzen, für die soziale Sache kämpft, bei dem Tschingdarassabumm der Schützenvereine schon

1mal eine Träne zerdrückt und eine Unzahl von Anekdoten über Harburgs Altgenossen kennt. Da ist der 68er Juso, der mit knallhartem Erneuerungssendungsbewußtsein gegen die da oben in der SPD anging und um Mehrheiten gegen Hafenerweiterung und Autobahnpläne kämpfte. Da ist der erfolgreiche Kommunalpolitiker, der Seite an Seite mit dem früheren Bezirksamtsleiter Jobst Fiedler eine Vielzahl neuartiger Projekte anschob und stolz von „seinem“ Bürgerhaus Wilhelmsburg schwärmt. Dann gibt es den intellektuellen Kungler Frahm, der in italienischen Restaurants mit der Akademiker-Elite der Partei über Erneuerungskonzepte fachsimpelt. Dann ist da der Mann, der seine Gefühle zeigen kann, wenn gerade ein überwältigender Wahlsieg errungen wurde, da ist der finster entschlossene Exekutor, der seiner SPD-Fraktion das Diäten-Ding vermasselt, da ist der leisetretende Integrator, der in stundenlangen Wenig-Augen-Gesprächen politische Personalpolitik betreibt, da ist der Ehemann, der sich bei JournalistInnen bitter beschwert, wenn sie Rosemarie Raab in die Pfanne gehauen haben, da ist der „neue“ Mann, der offensiv und ungeniert Hausmannpflichten und 60-Stunden-Woche in der Politik unter einen Hut zu bringen versucht ...

Dabei nimmt einen für Frahm ein, daß er sich dieser Vielfalt kaum bewußt ist, sie nie gezielt und strategisch einsetzt. Nein, Frahm ist, bei allem taktischen Geschick, eine „ehrliche Haut“, jemand, der trotz dieser Widersprüchlichkeit Integrität ausstrahlt. Auch wenn Frahm sich manchmal verheddert, nicht immer so kann, wie er will, zeigen sein bisheriger Werdegang und seine politischen Aktivitäten eine oft verkannte Gradlinigkeit. Frahm ist SPD-Überzeugungstäter, der einen scharfen Blick für die gravierenden Mängel seiner Partei hat und trotzdem mit einem manchmal fast naiv anmutenden Optimismus an das Gute in der SPD und ihre große gesellschaftliche Aufgabe glaubt.

Als dieser eigentümliche Mann im November 1991 an die Spitze der SPD trat, fand er eine Situation vor, die, so Frahm, „schlimmer kaum sein konnte“. Nach gewonnener Wahl brachen die Wogen des Diätenskandals, der Diadochenkämpfe im Senat und die allgemeine Politikverdrossenheit über der SPD zusammen. Frahm redete zwar schon bald Klartext, mehr vor als hinter den Kulissen, mahnte die Genossen in Fraktion und Regierung, das selbstmörderische Diätending zu canceln, ließ dann aber doch das Gremientheater der SPD

1arbeiten: Halbgare Landesvorstandsbeschlüsse, ein seltsamer Sonderparteitag, eine unerschütterliche SPD-Fraktion und Berge voller Protestbriefe und Parteiaustritte.

Dann jedoch kam jener 6.Dezember 1991, als das brave Chamäleon Frahm plötzlich zum eisenharten Knecht Rupprecht mutierte, die Rute herausholte und den Diäten- und Rentensack für Bürgerschaft und Senat erst einmal ganz fest wegschloß: Der biedere Transmissionsriemen hatte Bürgermeister und Fraktionschef zum einvernehmlichen Stop des Diätencoups gepeitscht. Und Frahm blieb auf Kurs, auch wenn niemand zurücktrat. Frahm: „Mir war wichtiger, daß sich in den Köpfen etwas bewegt, als daß Köpfe rollen.“ Frahm trug entscheidend dazu bei, die unabhängige Enquete-Kommission „Parlamentsreform“ zu inthronisieren und Fachmann Wolfgang Hoffmann-Riem mit der Ausarbeitung des Reformpaketes zu beauftragen. Spitzbübisch verfolgte er den Werdegang des beinahe umstürzlerischen Reformkonzeptes, welches Partei und SPD-Bürgerschaftsfraktion harte Nüsse aufnötigt. Frahm freut sich über die „hochprofessionielle, hochdemokratische und hocheffiziente Arbeit“ von Hoffmann-Riem.

Verabschiedet die Bürgerschaft dieses Reformpaket, hat Frahm innerhalb einer wirklich kurzen Zeit geradezu erstaunliches geleistet: Er hat den Tanker kurz vor dem finalen Zusammenprall mit dem Eisberg gestoppt und mit frisch eingeflogenen Lotsen eine völlig neue Route ausbaldowert. Frahm reicht das noch lange nicht. Er weiß, daß diese Parlamentsreform nur ein erster Schritt sein kann, mit dem die ganze politische Kaste dieser Stadt umgemodelt werden muß. Für viele überraschend hat Frahm deshalb mit dem SPD-Vordenker Friedrich- Joachim Mehmel ein Positionspapier verfaßt, in dem sich der SPD- Chef auf eine Breitwandreform von Partei und Politikapparat festlegt. Im Gespräch mit der taz wird er noch deutlicher: Der verkrustete Parteiapparat müsse professionalisiert, auf „Kundenorientierung“ umgepolt werden. SPD-Parteigeschäftsführer Werner Loewe, „den wir zu diesem Zweck eingekauft haben“, hat diese Aufgabe bisher nicht bewältigt, wenngleich Frahm Loewe dafür auch eine Vielzahl mildernder Umstände zugesteht. Auch für einen anderen Augiasstall wünscht sich Frahm Besserung: „Im Senat überwiegt das Einzelkämpfertum. Da wird versucht, wie jetzt gegen Traute Müller, sich auf Kosten anderer Senatsmitglieder zu profilieren. Dabei kann der Senat

1nur gemeinsam Erfolg haben.“ Eine Auswechslung von Senatsvorsteher Voscherau hat der Parteichef allerdings nicht im Sinn: „Diese Frage stellt sich nicht. Einen erneuten Bürgermeisterwechsel mitten in der Legislaturperiode verkraften wir nicht“ (Voscheraus Vorgänger Klose und Dohnanyi wurden jeweils zur Halbzeit abgeschossen - d.Red.).

Um all dies zu bewegen, will Frahm ein eisernes Gesetz brechen: Regierungschef, Fraktionschef und Parteichef sollen nicht mehr zwanghaft mit einer Zunge sprechen. Frahm will die Partei wieder, wie schon beim Diätendebakel, zum auch öffentlichen Gewissen des Rathausapparates machen. „Nur so“, glaubt Frahm, „können wir wieder glaubwürdig werden und die Öffnung von Partei und Regierung erreichen.“ Und, so Frahm über seine GenossInnen in Regierung und Bürgerschaft: „Die sind in ihren Ämtern furchtbar ratlos. Die brauchen die Hilfe der Partei.“ Konstruktiver Streit um Sachthemen ist angesagt, wobei, das weiß Frahm, auch persönliche Profilierung erforderlich ist: „Der Parteivorsitzende muß auch als Person Inhalte transportieren.“

Der vielgesichtige Helmuth Frahm als charismatische SPD-Führungsfigur? Wohl nicht unbedingt. Aber: Wie bei den Diäten und jetzt bei der Parlamentsreform will Frahm unverrückbar Position beziehen. Als nächstes Angriffsziel hat er sich die Sachpolitik ausguckt. So fragt er sich zum Beispiel, „ob die Elbvertiefung nicht viel zu teuer und überflüssig ist“, eine Position, die ans Eingemachte des Positionsfilzes von Hafenlobby und Rathaus geht. Auch in Sachen Verkehrspolitik sammelt Frahm gegenwärtig Giftpfeile für seinen Profilierungsköcher.

Sollte Helmuth Frahm mit diesem Ironman-Programm tatsächlich Kurs halten, so hat er dies nicht zuletzt jenem Kapitänspatent zu verdanken, das in der gegenwärtigen Situation allein zur Großen Fahrt berechtigt. Frahm trocken: „Ich will nicht Bürgermeister werden. Dazu eigne ich mich nicht. Ich will auch kein Senatorenamt. Eins in der Familie reicht.“ Erst diese Absage an das übliche SPD-Versorgungswerk gibt ihm die Unabhängigkeit, tatsächlich vom Zügel zum Steuermann der SPD-Spitzen-Troika zu werden. Und auch sein Maßstab ist ungewöhnlich. Am Schluß unseres dreistündigen Gespräches entfährt ihm: „Das ist schließlich auch meine Lebenszeit, die ich hier einsetze. Wenn uns jetzt keine Reform gelingt, dann ist diese Zeit verloren - auch für mich.“ Florian Marten