: Eingeschlossene Klassiker
■ Am Donnerstag fand in Santa Fu zum zweiten Mal ein klassisches Konzert für Knackis statt / Hanseatisches Kammer-Ensemble begeisterte die schweren Jungs
statt / Hanseatisches Kammer-Ensemble begeisterte die schweren Jungs
Rauchschwaden ziehen über den Vorhof von Santa Fu, Brandgeruch schwängert die Luft. Doch kaum zehn Minuten später herrscht wieder klare Sicht, das kleine Feuer in der Anstaltsbäckerei ist gelöscht, der Weg zur Mehrzweck-Kirche frei. Das Konzert des Hanseatischen Kammer-Ensembles kann mit zehnminütiger Verspätung beginnen. Zwischen Schaukelpferden für den kleinen Familienbesuch, Orgel für sonntägliche Andachten und der Getränkebar plazieren sich die neun Musiker auf ihren orangen Plastikstühlen. Vor knapp vierzig Insassen, die ein klassisches Konzert dem Hofgang in der Nachmittagssonne am Donnerstag vorziehen, spielen sie ihren Reigen von Mozart bis Haydn.
Klassik für Knackis? Eigentlich erscheint das erst einmal absurd, doch das Ensemble gastiert schon zum zweiten Mal in der Justizvollzugsanstalt am Hasenberge. Der Auftritt vor einigen Monaten war ein derartiger Erfolg, daß die zehn Mann der Kulturkommission, die das kulturelle Programm in ihrer derzeitigen Unterkunft organisieren, gleich eine zweite Einladung verschickten. Armin Hockauf, der Hauptorganisator, bringt die Intentionen auf den ganz einfachen Punkt: „Wir sorgen das ganze Jahr über dafür, daß bei uns kulturell etwas passiert. Und Klassik ist ja nun mal auch Kultur. Wir haben kaum Probleme, Künstler dazu zu bringen, hier aufzutreten. Es ist ja auch etwas besonderes, auf dieser Off-Bühne zu spielen. Demnächst
1kommt zum Beispiel Marlene Jaschke.“
Ein Klassik-Konzert in einem Gefängnis erscheint schon merkwürdig. Allerdings weisen die Musiker des Ensembles unwohle Gefühle weit von sich. „Wir haben überhaupt keine Probleme, hier zu spielen. Ganz im Gegenteil, es macht viel Spaß, die Leute hören richtig zu und wir unterhalten uns mit ihnen. Es herrscht eine gute Atmosphäre. Es ist ein viel komischeres
1Gefühl, in einem Altenheim oder Krankenhaus zu spielen.“
Nikolaus Berger, Pressesprecher der Justizbehörde, sieht bis dato ungeahnte Möglichkeiten, die durch die Veranstaltungen eröffnet werden: „Es ist gut, wenn Kultur in eine erlebnisarme und im wahrsten Sinne des Wortes abgeschlossene Welt Einzug hält. Zudem ist es sehr zu begrüßen, wenn Außenstehende Einblick in ein Gefängnis bekommen. Die neun Musiker wer-
1den ihre guten Eindrücke mit nach draußen nehmen und dadurch den Insassen das Dämonische, das sie umgibt, nehmen.“
Mit der Zugabe des Ohrwurm- Themas vom Pink Panther mußten die nicht gerade zartbesaiteten Zuhörer Abschied nehmen. Würde sich das Orchester nicht in einigen Wochen auflösen, es wäre sicherlich nicht ihr letzter Auftritt in Santa Fu gewesen. Kristian Schneider
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