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Melancholische Müdigkeit

■ »Photographie der Moderne in Prag 1900-1925« Eine Ausstellung in der Berliner Festspielgalerie

Geschlossene Augenlider. Ein Frauengesicht als »Nature morte«. Mystische Landschaften symbolisieren kosmische Weite. Hinter dem ersten Blick gibt es einen zweiten. Hinter der Fassade des Sichtbaren ist das Unsichtbare zu schauen. Melancholie als Heimat. Es sind poetische Bilder, Lichtbilder von Lichtbildnern ganz im wörtlichen Sinne.

Das Kunstgewerbemuseum Prag hat für die Fotografen dieser Richtung den Begriff »Photographie der Moderne in Prag 1900-1925« gewählt. Damit wird jedoch eine Bewegung formuliert, die als Bewegung nie existierte. Auch das Schlagwort von den »inneren Bildern« bleibt für die Prager Fotografien jener Zeit ungenügend. Dennoch gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten.

Darstellungsweisen des Realismus werden von allen Fotografen, von Alois Zych bis Frantisek Dritkol, gleichermaßen abgelehnt. Doch mit den alten Traditionen wird nicht völlig gebrochen. Die Fotografie bleibt malerisch. Die neue Technik, das »moderne« Medium, wird weiterhin den Regeln malerischer Ausdrucksformen unterworfen. Der Jugendstil Gutav Klimts, der Impressionismus/Pointilismus Seurats und die mystischen Zeichnungen Kubins kommen einem beim Rundgang durch die Festspielgalerie sofort in den Sinn. Es ist nicht nur die Prager Welt zu sehen, es gibt Träume, Mythen und innere Welten zu schauen, gebunden in eine malerische Sprache.

Auch mit dem traditionellen Bild der Frau wird nicht gebrochen. Das Weib ist weiterhin Symbol der Natur, erotisches Objekt und ästhetisches Ideal. Mehr nicht. Die fotografierenden Herren bleiben unter sich, die Frau ist nur Gegenstand ihrer Kunst. Das problematische Foto, die Akt-Darstellung eines pubertären Mädchens, wurde erst gar nicht in den Ausstellungskatalog aufgenommen. In der Festspielgalerie ist es dennoch zu sehen.

Die Fotografen beherrschen ihre Technik meisterhaft. Unter Verwendung von grobkörnigem Fotomaterial verwandelt Vladimir Bufka einen erleuchteten Abendzug in ein Bild diffuser Einheit von Technik und Natur, Seele und Kosmos. Die Konturen sind aufgelöst, und Landschaften werden sichtbar, wie man sie nur spontan und auf den Augenblick begrenzt wahrnehmen kann. Dem Jugendstil verhaftet sind die Porträts von Josef Anton Trcka. Stofflichkeit und die Linie als dynamisch bewegtes Ausdrucksmittel stehen im Vordergrund. Wie stark zu jener Zeit Dichtung, Malerei und Fotografie miteinander verwoben waren, zeigen Trckas Porträts von Gustav Klimt, der wie ein Berg dem Betrachter gegenübersitzt, von Egon Schiele, selbst wie ein Objekt seiner Malerei fotografiert, und von dem Anthroposophen Rudolph Steiner, der wie ein Seher aus dem Dunkel blickt.

Warum aber nahmen die Fotografen den Kampf mit der Malerei, mit diesem Koloß der bildenden Kunst, auf? Und vor allem — warum wählten sie den gleichen Weg wie die Malerei auf ihrer Suche nach einem neuen Ausdruck? Warum kam es nicht durch die Beschäftigung mit der Malerei zu einer kritischen Analyse der Fotografie?

Der Leiter der jetzigen Ausstellung, Josef Kroutvor, antwortet mit einer Vermutung: Vielleicht sei es eine melancholische Müdigkeit gewesen. Sie waren Idealisten, Träumer, Anthroposophen, die mit ihrer Kamera ideale Welten schaffen wollten. Doch mit dem Ende des Ersten Weltkrieges setzte eine avantgardistische Bewegung ein, die über ihre Fotografien hinwegging, so daß die Fotografen wie Josef Trcka und Karel Novak in Vergessenheit gerieten, während zum Beispiel Frantisek Dritkol zum Kubismus fand. Nun werden sie als Vertreter der fotografischen »Moderne« wiederentdeckt und schon seit einem Jahr in einer Wanderausstellung in Deutschland gezeigt.

Der Prager Dichter Otakar Brenzina hatte vermutlich recht, als er seinen Zeitgenossen prophetisch zurief: »Und durch den Traum vergiftet werden wir vor unserem Tode sterben, und nach unserem Tode leben.« Nathalie Wozniak

Die Ausstellung Photographie der Moderne in Prag 1900-1925 in der Festspielgalerie, Budapester Straße 48, ist noch bis zum 4. Oktober zu sehen.

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