: Heimliche Küsse in der Nacht
■ Jan Müller-Wieland dirigierte die Uraufführung seiner Kammeroper Kain in der Opera Stabile
dirigierte die Uraufführung seiner Kammeroper Kain in der Opera Stabile
Nur wenige Monate nach der erfolgreichen Uraufführung von Das Gastspiel auf der 3. Münchener Biennale, brachte Jan Müller-Wieland am Samstag seine zweite Oper Kain, ein Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper, in der Opera Stabile zur Uraufführung. Als sein eigener Librettist will er mit der biblischen Geschichte der ungleichen Brüder die Ambivalenz ihrer Beziehung zeigen: Eine Geschichte von Fremdheit, Unsicherheit im Umgang mit ihr und daraus resultierendem Haß. Hinzugefügt hat Müller-Wieland die Figur eines Mädchens, Abels Geliebte, und den homoerotischen Aspekt der Bruderbeziehung - Kains heimliche Küsse in der Nacht.
Musikalisch orientierte sich der Henze-Schüler, der vor allem Alban Berg als Vorbild nennt, an Formen von Purcell und Monteverdi: In der als Suite angelegten Oper finden sich zum Beispiel Pastoralen, die sonst frei atonale Musik ist durchsetzt mit choralharmonischen Elementen. Ähnlich wie in Bergs Lulu ordnet er den Hauptprotagonisten verschiedene Instrumente zu, so Abel die Bratschen, die Celli Kain, jedoch erschließen sich diese Zuordnungen den Zuhörern nur in seltenen Fällen. Das musikalische Geschehen droht häufig in ein Einerlei an beliebigen Ausdrucksformen abzudriften und entfernt sich vom Handlungsgeschehen.
Mitverantwortlich an dieser Kluft sind aber auch die elf Musiker der Philharmonie unter Müller- Wielands Leitung, die dem Werk scheinbar nicht gewachsen sind. Immerhin bilden jazzorientierte Percussioneinlagen, Streicherkanons und viele Gesangslinien musikalische Höhpunkte.
Claus Guths Inszenierung auf der von Christian Schmidt ausgestatteten Bühne ist der Musik trotz einfachster Mittel an Ausdrucksstärke und Spannung überlegen. Ein variabler schwarzer Guckkasten zwingt zur Konzentration auf beschnittene Blickpunkte, grelle, wechselnde Hintergrundfarben stellen die einfachen Gesten heraus. Fast mönchische Strenge findet in den Bildern ebenso einen Ort wie plakative Schockmomente.
Das kleine Ensemble überzeugt gesanglich, David Aldreds Darstellung des Abels stellt Klaus Häger (Kain) in den Schatten. Elisabeth Steiner rührt am nachhaltigsten als Mutter Eva. Ihrem Versuch der Annäherung, ihrer Verzweiflung wird Müller-Wieland auch musikalisch gerecht. So erhielt die Oper einen stimmigen Abschluß, der sogar für Bravos sorgte. Niels Grevsen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen