: Bilder, Fakten und Schuld
■ Bei Gorazde verübten Muslime ein Massaker an Serben
Bilder, Fakten und Schuld Bei Gorazde verübten Muslime ein Massaker an Serben
Die manichäischen Weltbilder vom Konflikt auf dem Balkan, wie sie von den Medien fabriziert werden, haben das nicht vorgesehen. Doch nur wer Muslime grundsätzlich für bessere Menschen als Serben hält, konnte vom Massaker bei Gorazde, begangen von Muslimen an Serben, überrascht sein. Die Fähigkeit, zu foltern, zu vergewaltigen und zu töten sei neben dem gesunden Menschenverstand das unter den Völkern der Erde am gleichmäßigsten verteilte Gut, schrieb jüngst der Essayist Lothar Baier in dieser Zeitung. Verschieden seien allerdings die Hindernisse, die dem Ausleben dieser Fähigkeit im Wege stehen. In der Tat sind Muslime, Kroaten und Serben zu denselben atavistischen Grausamkeiten fähig. Und kaum war in Gorazde das „Hindernis“, die Blockade, aufgehoben, stand der blutigen Rache nichts mehr im Wege.
Jetzt werden wohl die Fabrikanten anderer Weltbilder wieder Auftrieb erhalten: diejenigen, die aus der späten Erkenntnis, daß alle zu allem fähig sind, den falschen Schluß ziehen, daß am Krieg in Bosnien alle gleichermaßen schuld sind. Es sind diese Ideologen, die das Bild von einem Land verbreiten, wo alle sich gegenseitig die Schädel einschlagen. Jeder gegen jeden, und keiner blickt durch — Balkan eben. Ein Bild, das der Denkfaulheit Vorschub leistet.
Die Schuldfrage ist nicht Nebensache. Wer die Entwicklung des Krieges auf dem Balkan nüchtern betrachtet, wird feststellen, daß die jugoserbische Seite — analog zum Feldzug gegen Kroatien vor einem Jahr und mit derselben Begründung, die serbische Minderheit schützen zu müssen — Bosnien- Herzegowina mit Krieg überzogen und etwa 70 Prozent des Landes, darunter weite Landstriche mit muslimischer oder kroatischer Bevölkerungsmehrheit, erobert hat. Daß ein Aggressionskrieg in einem ethnisch gemischt besiedelten Territorium in einen Bürgerkrieg mündet, in dem sich Mord und Vertreibung auf allen Seiten durchsetzen, darf nicht zu einer gleichmäßigen Zuweisung von Schuld am Krieg schlechthin führen.
Bosnien-Herzegowina steht am Scheideweg. Entweder wird das Land auf Kosten der muslimischen Mehrheitsnation zwischen Kroaten und Serben aufgeteilt (die Kantonalisierung wäre eine Zwischenstufe auf dem Weg dahin) und die Vertreibung von Hunderttausenden hingenommen. Die Alternative zu einer Teilung, die mehr Probleme schaffen als lösen würde, wäre die Wiederherstellung der Souveränität Bosnien-Herzegowinas. Dies setzt eine militärische Niederlage der serbischen Seite mit dem Risiko muslimischer und kroatischer Rachefeldzüge, die Entmachtung Milosevics oder einen radikalen Kurswechsel in Belgrad voraus — und dann wird eine Bestrafung der Kriegsverbrecher — je nach Anteil der Schuld — nötig sein. Sonst ist ein Zusammenleben der drei Völker nur schwer vorstellbar. Thomas Schmid
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