: Falsche Lorbeeren für Perus Staatschef Fujimori
Die Festnahme der Sendero-Führung täuscht darüber hinweg, daß die Zahl und die Intensität der Anschläge seit dem Putsch zugenommen haben/ Freudenfeste in Limas Armenviertel/ Ruf nach einem Referendum für die Todesstrafe ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Ein schwerer Schlag, aber noch kein Todesstoß für die maoistische Guerilla „Sendero Luminoso“: So schätzen die meisten politischen Kommentatoren die Festnahme von Abimael Guzman ein. Sendero-Chef Guzman alias Presidente Gonzalo war am Samstag abend nebst weiteren Führungsmitgliedern der Organisation im Südwesten der Hauptstadt Lima verhaftet worden. Die Führung des „Leuchtenden Pfades“ bereitete gerade eine Großoffensive für den kommenden Oktober vor, die das „strategische Gleichgewicht“ zugunsten der Revolution verändern sollte.
Während Staatspräsident Alberto Fujimori die Festnahmen als Erfolg seiner Anti-Guerilla-Politik reklamiert, gebührt alles Lob der Dincote, einer Art Geheimpolizei für Terrorismusbekämpfung. Die Dincote wurde zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts gegründet und konnte trotz ihres lächerlichen Budgets ihren Ruf als eine effiziente Truppe konsolidieren, die sogar ohne die sonst bei den peruanischen Sicherheitskräften übliche Brutalität auskommt. Ihr Chef, General Antonio Vidal, der während des Militärregimes von General Velasco Alvarado Kurse in der Sowjetunion absolvierte, gilt als Saubermann in der Polizei. Dincote hat in den vergangenen Monaten bereits mehrere Guerilla- Nester in Lima ausgehoben und auch den Anführer der marxistischen Tupac-Amaru-Bewegung (MRTA), Victor Polay, festgenommen. Bei der Festnahme der Sendero-Chefs am Samstag wurde kein Tropfen Blut vergossen. Offenbar stand das Haus im Mittelstandsbezirk Surco schon mehrere Tage unter Beobachtung. Nachbarn hatten dort verdächtige Bewegungen gemeldet.
Den strategischen Schlag gegen die seit 1980 operierende Guerilla als Erfolg des seit April herrschenden Ausnahmezustandes zu feiern, so meinen die Kritiker der Regierung, hieße, das Scheitern der Anti-Guerilla-Politik im allgemeinen zu verkennen. Fujimori hatte am 5.April das Parlament aufgelöst und die Verfassung mit dem Argument suspendiert, er brauche freie Hand bei der Aufstandsbekämpfung und der Wirtschaftspolitik. Die Anzahl und Intensität von Sprengstoffanschlägen und Attentaten in Lima hat aber seither deutlich zugenommen. Auch die wirtschaftliche Misere hat sich nur noch verschärft, weil Peru seit dem autoritären Durchmarsch des Staatschefs von den internationalen Kreditinstitutionen geächtet wird.
Abimael Guzman war im Jahre 1979 mehrere Monate in Haft, kam aber auf freien Fuß, bevor sein Flügel der Kommunistischen Partei Perus im Mai 1980 den bewaffneten Kampf aufnahm. Obwohl „Presidente Gonzalo“ sich aus gesundheitlichen Gründen in der Stadt aufhalten muß, war es ihm bisher immer gelungen, die Sicherheitskräfte zu überlisten. Letztes Jahr erbeutete die Polizei in einem Haus, in dem sich der Guerillachef kurz vorher noch versteckt gehalten hatte, ein Videoband, das den stark angeheiterten Guzman beim Sirtaki-Tanzen zeigt. Der zweite Mann der Organisation, Osman Morote, sitzt seit 1988 ein und wurde im Mai beim Sturm auf das Gefängnis von Canto Grande verletzt. Janeth Talavera, Yovanka Pardave, Elvia Zanabria und Tito Valle, wichtige Köpfe in der Sendero-Hierarchie, wurden damals getötet. Unter den am Samstag Festgenommenen sollen sich die Comandantes Laura Zambrana und Elena Iparaguirre sowie Marta Huatay, die Präsidentin der sogenannten „demokratischen Anwälte“, befinden.
Nach Bekanntwerden der Festnahmen wurden Tausende Häuser wie an nationalen Feiertagen beflaggt. In der Arbeitersiedlung Villa El Salvador an der Peripherie von Lima, wo Sendero im Februar die beliebte Bürgermeisterin Elena Moyano ermordet hatte, wurde ein Freudenfest organisiert. Und die Zentrale der erfolgreichen Dincote war Ziel eines spontan zusammengetrommelten Marsches.
Sendero-Forscher und andere Experten hielten mit ihren Glückwünschen nicht zurück, warnen aber vor voreiligem Siegesgeschrei. Sie sehen die Enthauptung der skrupellosen Guerilla nicht als Todesstoß, sondern als Beginn eines langen Kampfes gegen die Aufständischen, die in den Elendsvierteln von Lima ihre soziale Basis ausbauen konnten und Teile des Andenhochlandes militärisch beherrschen. „Der General ist gefallen, aber viele Obristen sind noch auf freiem Fuß“, warnte der Chef der linken PUM, Javier Diez Canseco. Außerdem seien die sozialen Ursachen, die dem Aufstand zugrunde liegen, keineswegs beseitigt. Bisher ist es der Armee nicht gelungen, die Guerilla aus dem Alto-Huallaga-Tal, dem größten Coca-Anbaugebiet der Erde, zu vertreiben. Sendero kontrolliert dort einen wichtigen Teil des Drogenexportes und verfügt damit über fast unerschöpfliche Ressourcen.
Trotzdem steht zu erwarten, daß der Überraschungserfolg der Regierung wirtschaftliche und politische Dividenden abwirft. Wirtschaftliche, weil die USA, die bisher eine sehr harte Position eingenommen hatten, den von der OAS empfohlenen Kreditboykott aufweichen könnten. Und politische, weil mehrere Parteien, die bisher entschlossen waren, die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung im November zu boykottieren, jetzt den Moment gekommen sehen, mit der Regierung eine gemeinsame Front gegen den Feind zu bilden. Zudem war die Regierung klug genug, einer wichtigen Forderung der Politiker nachzugeben und die abgesagten Kommunalwahlen für den 29.Januar 1993 anzusetzen.
Dem ehemaligen Universitätsprofessor Abimael Guzman wünschen inzwischen lautstarke Gruppen den Strang. Während die Gesetzgebung eine Höchststrafe von 30 Jahren vorsieht, wurde in den Medien bereits nach einem Referendum gerufen, das ausnahmsweise die Verhängung der Todesstrafe ermöglichen soll.
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