: Den „Stimmlosen“ Gehör verschaffen
World Uranium Hearing in Salzburg/ Zeugenaussagen indigener Völker aus fünf Kontinenten ■ Aus Salzburg Thomas Pampuch
Sonntag abend in der Salzburger Residenz. Rund 400 Leute, bunt zusammengewürfelt aus fünf Kontinenten, speisen in den barocken Räumen. Sie kommen vom Mönchsberg, wo sie, um ein Feuer geschart, unter Anleitung spiritueller indianischer und tibetischer Führer ein „Gebet für die Erde“ gesprochen haben. Dabei ist unter anderem Thomas Banyacya, Sprecher der traditionellen Hopi aus dem US-Bundesstaat Arizona. Sie alle sind Teilnehmer des World Uranium Hearings, auf dem eine Woche lang die Zeugenaussagen von über 130 Vertretern indigener Völker über die radioaktive Verseuchung ihrer Länder gehört werden.
Residenzen sind unterschiedlich nutzbar. Waren es vor kurzem die Mächtigen der Welt, die in der Münchener Residenz zusammenkamen, so sind es in Salzburg die Ohnmächtigen. Und doch sagt Banyacya: „Nicht wir, die Zeugen, sind die Opfer. Wir wissen, daß wir durch Uranabbau, Atombombentests und Atommüll verseucht werden. Die wahren Opfer sind die, die nicht einmal wissen, was ihnen angetan wird.“
Schon nach zwei Tagen wird man fast erdrückt von der Fülle der referierten Tragödien. Da ist zum Beispiel der kasachische Professor Ibarjew, der von den Verwüstungen in seiner Heimat berichtet. In der Gegend um Semipalatinsk, dem Zentrum der Atombombenversuche in der ehemaligen UdSSR, liegen die Rem-Werte der radioaktiven Verseuchung teilweise tausendmal über den Normwerten. Ein Tschernobyl in der Wüste. Da ist der Navajo aus New Mexiko, dem ersten großen Uranabbaugebiet der USA, der seit Jahren um eine Entschädigung für indianische Bergarbeiter kämpft, die schwere gesundheitliche Schäden davongetragen haben. Niemand hatte ihnen gesagt, wie gefährlich die Arbeit ist. „Es ist ein endloser Kampf“, sagt er.
Immer wieder tauchen in den Zeugenaussagen dieselben Abläufe auf. Zerstörung, dann Vertuschung, dann Leugnen der wirklichen Gefahren: Es ist der atomare Neokolonialismus, der hier dokumentiert wird. Verseuchung, Leukämie, Encyphalitis, Ansteigen der Totgeburten und fast immer in Gebieten weitab von den Nutznießern der Atomenergie, oft bei Völkern und Stämmen, deren Namen man nicht einmal kennt.
Was da in der Residenz und der Universität von Salzburg eine Woche lang stattfindet, ist keine fachwissenschaftliche Tagung, keine multikulturelle Show, kein sprituelles Treffen, auch wenn es ein paar Elemente von alledem hat. Es ist das Experiment einer Anhörung, um diesen „Stimmlosen“ aus der Peripherie Gehör zu verschaffen. Wohl selten hat ein internationales Touristenzentrum eine derartige Ansammlung von Vertretern indigener Völker erlebt: nordamerikanische Ureinwohner von den Inuit über die Cree bis zu Lakota und Cherokee, australische Aborigines, Namibier, Polynesier, Jakutier, Quetschus — aus allen Kontinenten sind sie angereist, um mehreren Hundert Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik über ihre Erfahrungen, Sorgen und Demütigungen zu berichten.
Die begleitenden wissenschaftlichen Referate helfen, in der Fülle von Fällen Orientierungen zu finden, aber auch Konsequenzen im Sinne Banyacyas zu ziehen, daß nämlich alle Opfer sind. So berichtet etwa die britische Sozialmedizinerin Alice Stewart über die Gefahren von Niedrigstrahlung, wie sie bei radioaktiv verseuchten Gebieten auftritt. Und sie beschreibt die Schwierigkeiten, die daraus entstehenden Schädigungen direkt nachzuweisen: Manchmal kann es Generationen dauern, bis sie spürbar würden.
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