piwik no script img

„Das Pack macht Dreck und klaut“

Wenn Jugendliche vor dem Flüchtlingsheim in Wismar Gehwegplatten zu Wurfgeschossen zertrümmern, können sie sich des Beifalls der AnwohnerInnen sicher sein/ Für die Bevölkerung sind Angriffe auf AsylbewerberInnen „Kindereien“  ■ Aus Wismar Bettina Markmeyer

Die Frau ist vom Fahrrad abgestiegen. Sie will nach Hause und muß an einer Gruppe 16- bis 18jähriger Jungs vorbei, die eben noch „Ausländer raus“ skandiert haben. Jetzt schmeißen sie nur deshalb keine Steine mehr, weil sie von Polizeiketten auf den Rasen hinter die Kaufhalle abgedrängt worden sind. „Seid leise“, sagt die etwa 35jährige in die Gruppe hinein, „das bringt's doch nicht.“ Zu so etwas gehört neuerdings Mut — jedenfalls nachts vor einem Asylbewerberheim in Deutschland. Die Jugendlichen sind sauer. Sie sind zu wenige heute abend. Rund um das Heim stehen Polizisten aus Wismar und Schwerin mit Schilden und Knüppeln.

Einer der Burschen baut sich vor der Frau auf. Er trägt eine schwarze Windjacke und Jeans, hat schulterlanges Haar und ist mit seinen Freunden vom Kirmesplatz hierher marschiert: „Sag mir lieber, was im Grundgesetz steht, los sag schon.“ — „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, steht da zum Beispiel.“ — „Ach Scheiße, was da zum Asyl steht, will ich wissen.“ — „Da steht, daß politisch Verfolgte Asylrecht bekommen.“ — „Ja, und? Was sind die hier? Kommen mit Schlepperbanden, das Pack. Fahren mit Autos hier rum, machen Dreck, klauen! Gestern nacht hat ein Rumäne einen Kumpel von uns abgestochen!“ — „Nicht abgestochen, leicht verletzt! Euer Kumpel wollte doch nicht mal behandelt werden. Ich bin Ärztin. Deutsche machen auch Messerstechereien. Die haben wir dann in der Klinik. Und was macht ihr denn? Mit Gewalt erreicht ihr gar nichts.“ — „So, wir erreichen nichts? Nur so! Siehste doch. Die Scheiß-Politiker tun doch nichts. Was würdest du denn machen, was denn, na?“ Die Frau hat ihr Fahrrad mit Kindersitz langsam weitergeschoben. Die Jugendlichen überragen sie um Haupteslänge.

„Das ist komplizierter“, sagt sie leise und versucht, den Spieß umzudrehen: „Was würdest du denn machen?“ Der Junge mit der schwarzen Windjacke kommt nicht dazu zu anworten. „Alle abschießen“, sagt einer seiner Kumpel und zieht ihn weg: „Hat keinen Zweck mit der. Das is 'ne Linke“. „Nimm doch das Pack zu dir nach Hause“, fordert ein anderer. — „Wir wohnen hier schon recht beengt“, antwortet die Frau, sieht nochmals in die Runde, sagt „Guten Abend, die Herren“ und fährt leicht kippelnd, aber unbehelligt davon.

Die Ärztin ist die einzige, die den Jugendlichen am Asylbewerberheim im Wismarer Neubauviertel Friedenshof — und ihrer eigenen Nachbarschaft — die Stirn bietet. Denn von den Balkonen kommt viel Unterstützung für „unsere Kinder“, während drüben im Heim aus Angst vor diesen „Kindern“ um kurz nach neun in allen Zimmern das Licht ausgeht.

Etwa 50 Jugendliche — darunter nur wenige Mädchen — versuchen, an den langgestreckten, dreistöckigen Ziegelbau heranzukommen, in dem knapp 300 AsylbewerberInnen leben. Einige sind vermummt, andere haben Helme auf. Mehrere versuchen, Gehwegplatten und Mauersteine herauszubrechen und zu Wurfgeschossen zu zertrümmern. Vor dem Eingang des Heims zieht die erste Polizeikette auf. Polen in einem vollbesetzen Lada, die im Schlingerkurs Richtung Hauptstraße entfliehen wollen, werden mit Steinen beworfen, ein Seitenfenster zersplittert. „Jetzt geht's los“, brüllt die Meute und auf Platt: „Uut-, Uut-, Uutländer ruut“.

Die Steine auf das Heim verfehlen ihr Ziel, weil etwa 100 Polizisten die Werfer systematisch Richtung Häuserblocks drängen, die Meute in zwei Gruppen teilen und die Umgebung abriegeln. Ein paar Glatzköpfe und einer, der sich mit Haßparolen bei der Munitionsbeschaffung am Fußweg hervorgetan hat, verschwinden angesichts der Polizeiübermacht schnell wieder. Teils aggressiv, teils angetrunken, teils auch belustigt, beginnen die Eingeschlossenen mit den Beamten zu debattieren. Was sie vorhatten, ist völlig klar: „Wenn wir mehr gewesen wären und besser ausgerüstet, hätten wir euch und die da aufgemischt.“ Der Streit vom Vortag, bei dem ein Rumäne einen Wismarer mit dem Messer verletzt hatte, dient als Vorwand. Anschließend hatten 30 Jugendliche vier Stunden lang das Heim angegriffen. Acht wurden verhaftet. Es sei nur eine Frage der Zeit, sagt einer, „in Rostock haben wir schließlich gesiegt“.

Noch zweimal versucht eine Gruppe von den Häuserblocks aus gegen das Heim vorzugehen. Polizisten setzen nach, schlagen mehrfach mit dem Knüppel zu und nehmen insgesamt 21 Jugendliche fest. „Feige Schweine“, „Scheiß-Bullen“ und „Laßt unsere Kinder in Ruhe!“ schreien dazu die BürgerInnen von den Balkonen. Sie sind sich einig, daß die Jugendlichen „doch nur Kindereien“ vorhaben. „Ihr Drecks- Bullen sollt lieber tags kommen, wenn die Scheiß-Asylanten hier rumlaufen, statt nachts!“

Die Festgenommenen werden in einem LKW weggebracht: „Filmt das!“ rufen sie in die Kameras, ganz die jungen Märtyrer, und nutzen die Gelegenheit zum letzten Hitlergruß.

Nach zwei Stunden kehrt Ruhe ein. Die BalkonbürgerInnen ziehen sich zurück. Am erleuchteten Flurfenster im dritten Stock des Asylbewerberheims stehen zwei Männer. Die Fenster bleiben dunkel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen