: Mit der „Schicksals- und Opfergemeinschaft“ zur deutschen Identität
■ Hessens grüner Minister Joschka Fischer lud den umstrittenen Historiker Arnulf Baring zur Diskussion über Außenpolitik/ Der Gastredner stieß auf wenig Widerspruch
Bonn (taz) — Arnulf Baring, Berliner Geschichtsprofessor und seit zwei Jahren auf Werbetour für eine neue und selbstbewußtere deutsche Außenpolitik, war richtig gerührt. Ausgerechnet ihn hatte der grüne Minister Joschka Fischer zum Auftakt einer Vortragsreihe über Außenpolitik als Redner in die hessische Landesvertretung in Bonn geladen. „Das hätte ich gar nicht gedacht, daß jemand wie Sie das ernst nimmt, was ich schreibe“, verriet Baring dem als Moderator neben ihm sitzenden Fischer. Er, Baring, hätte eher erwartet, von Fischer „bei den Rechtsaußen“ einsortiert zu werden, „wenn nicht bei den Faschisten“.
Bei den Hessen, antwortete Fischer, sei das anders: „Wir streiten uns gerne.“ Davon war an diesem Abend freilich nichts zu merken. Vor den Augen von Richard von Weizsäcker — der Präsident war als Gast erschienen — offenbarten Fischer und sein rot-grünes Publikum fast nur Ratlosigkeit im Angesicht von Barings Thesen.
Barings erster Prämisse konnte Fischer noch mühelos folgen. Daß die alte Bundesrepublik „tot“ sei, habe sich herumgesprochen, meinte der Professor. „Eine weiche Außenpolitik, die die harte Außenpolitik anderer voraussetzt, können wir uns nicht mehr leisten“, folgerte er gleich darauf und warf sogar die Frage auf, ob das vereinigte Deutschland nicht eines Tages gezwungen sein könnte, Atomwaffen anzuschaffen. Fischer antwortete nur mit dem lauen Hinweis, das sähe er doch lieber „europäisch geregelt“. Genau diesen „Optativ“ hatte Baring kritisiert: Die deutsche Außenpolitik hoffe überall auf europäische Lösungen — ohne zu wissen, ob nicht doch die Nationalstaaten „die Voraussetzung Europas“ bleiben würden.
Seine eigene Prognose ließ der Redner nicht im unklaren: Deutschland müsse die „Angst vor dem eigenen Nationalstaat loswerden“ und sich über die eigenen, nationalen Interessen Klarheit verschaffen. Eine Währungsunion auf Kosten der deutschen Mark beispielsweise könne „die ganze Republik zum Einsturz bringen“.
Der Professor nannte weitere Beispiele. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Aufgaben beim Aufbau des „Trümmerfeldes Osteuropa“ dürften nicht die technologische Herausforderung und den „Aufstieg Japans zur Weltmacht“ verdecken. Man müsse erkennen, daß die USA als Bündnispartner „sehr viel wichtiger“ seien als Frankreich.
Entscheide sich die Außenpolitik nicht, könne das Land in genau die Isolation geraten, die es zu vermeiden trachte, die aber erneut Deutschlands „größte Gefahr“ geworden sei, seit es mit der Vereinigung die wacklige Mittellage des Bismarck-Reiches geerbt habe. Ein Bismarck-Zitat bot Baring zu Jugoslawien: „Der Balkan ist nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert.“
Provokationen satt, doch Fischer und das Publikum konterten mit wenig mehr als Begriffskritik. Stecke in der Nationalstaatspolitik nicht eher „Chaospotential“ als „Lösungspotential“, fragte der grüne Minister. Sei es nicht ein „Verfassungsstaat“, in dem wir leben, beharrte ein Zuhörer.
Sibylle Plogstedt entdeckte immerhin eine bemerkenswerte Auslassung: die Gewalt gegen Ausländer habe Baring in seiner Rede ausgespart. Der Professor hatte statt dessen die nationale „Schicksals- und Opfergemeinschaft“ als Formel angeboten, die die innere Teilung des Landes helfen könne zu überwinden.
Doch auch die konkrete Kritik an unangemessener Kraftmeierei der Außenpolitik der Bundesregierung überließen die zahmen hessischen Löwen dem Gastredner. Das Drängen auf einen deutschen Sitz im Weltsicherheitsrat und die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, meinte Baring, seien beides Vorstöße gewesen, die Deutschland wenig gebracht hätten — außer Mißtrauen der Nachbarn. Hans-Martin Tillack
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