Die Zukunft des Rades hat erst begonnen

■ Die sich selbst erstickende Auto-Stadt wird dereinst der Vergangenheit angehören, offen ist nur noch, wann. Das Tretmobil steht am Beginn einer großen Renaissance

wird dereinst der Vergangenheit angehören, offen ist nur noch, wann. Das Tretmobil steht am Beginn einer großen Renaissance.

Während sich die Fahrradstädte Chinas mit VW und Citroen auf den Einstieg in die Benzinautozukunft vorbereiten, wächst in Europa die Einsicht, daß der grundlegende Ausstieg aus der Autostadt angepackt werden muß. Noch zögernd tasten sich Stadtplaner und -verwaltungen an den Um- und Rückbau ihrer Städte und Verkehrsordnungen heran — die echte politische Auseinandersetzung mit der privaten Autonutzung ist immer noch ein Tabu. Dabei ist sich ein Gutteil der Verkehrswissenschaftler schon heute sicher: Die Frage heißt nicht, ob, sondern nur wann die von privaten Benzinautos befreite Stadt kommen wird. Die Gesetze der Physik und die Ressourcen der Erde lassen gar nichts anderes zu. Versorgung, Kommunikation, Lebensqualität und Umweltsituation in Städten schließen das massenhafte Nutzen und Parken von Autos physikalisch aus, Rohöl in den heutigen Mengen gibt es nur noch für gut 30 Jahre.

Die abschreckendsten Beispiele für den Selbstmord des Stadtgedankens liefern die USA mit ihren Ruinencitys und sich selbst erdrosselnden Vorstadtringen. Die alte Idee der Stadt, eine Kombination von Wohnen, Arbeiten, Versorgung und „öffentlichem Raum“, wurde vom Auto radikal vernichtet. Einige Forscher gehen sogar soweit, diese Zerstörung von „Nähe“ und „Heimat“ für den Anstieg von Gewalt und den Verlust sozialer und kommunikativer Standards verantwortlich zu machen.

Die Frage, ob es denn anders ginge, ist von Verkehrsforschern und Planern längst beantwortet. Wer das private Auto aus dem öffentlichen Stadtraum verbannt und es durch sinnvolle öffentliche Verkehrsmittel, Fahrräder und Füße ersetzt, dabei die Siedlungsstruktur wieder auf den Menschen orientiert, der erntet nur Vorteile: Die Mobilität nimmt zu, Menschen ziehen wieder in die Nähe ihrer Arbeitsstätte, kleine Geschäfte und dezentrale Versorgungseinrichtungen blühen auf, Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität entwickeln sich neu, und auch die Zentren werden wieder attraktiv, wovon sogar die City-Geschäfte mit höheren Umsätzen profitieren.

Autolos und bequem:

kein Widerspruch

Natürlich werden die Menschen in der Stadt der Zukunft die Bequemlichkeitsvorteile des Autos als Meßlatte an die neue Verkehrswirklichkeit legen. Lange Fußmärsche, mühevolles Einkaufen und langes Warten auf öffentliche Verkehrsmittel darf es dann nicht geben. Neue öffentliche Stadtverkehrssysteme, vom Warenbringesystem über ein dichtes Straßenbahnnetz im Fünfminutentakt bis zu Elektroruftaxis, werden eine Vielzahl der heutigen Autofunktionen übernehmen. Als individuelles Verkehrsmittel aber wird das Fahrrad, für Menschen mit weniger Kraft auch durch kleine Elektromotoren unterstützt, eine neue Blüte erleben. Einkaufen, flanieren, flott vorankommen — das Fahrrad wird statt heute 10 bis 20 Prozent der täglichen Wege bei bis zu jedem zweiten Weg benutzt werden. Füße und öffentliche Verkehrsmittel werden sich die restliche Hälfte in etwa teilen. Auf den Bau von Fahrradwegen kann dann problemlos verzichtet werden. Auf den Straßen werden sich, wie schon heute in manch gut organisierter Innenstadt, Fußgänger, Radfahrer, öffentliche Verkehrsmittel, Lieferfahrzeuge und Taxis in buntem Miteinander mischen.

Wer sich die heutigen Fahrradmodelle anschaut, wird unschwer entdecken, daß es das Fahrrad als modernes städtisches Verkehrsmittel noch kaum zu kaufen gibt. Fahrrad als Sport- und Imagegerät, aber nicht als bequemes Nutzfahrzeug, so das Angebot der Fahrradläden. Katastrophal ist es auch um den Service bestellt. Wo in Zukunft an jeder Ecke Fahrradreparaturläden die Kulturerrungenschaft der Arbeitsteilung auch für das zukünftige Basisverkehrsmittel anbieten, sind heute mehrere Wochen Wartezeit nicht selten. Nicht wenige Fahrradverkäufer erwarten von ihren Kunden, mit Inbusschlüssel, Schraubstock und Fließfett zur Welt gekommen zu sein.

Sowohl in der Fahrradtechnik wie im Angebot von Fahrradtypen und dem Reparaturservice wird es deshalb in den nächsten Jahrzehnten zu grundlegenden Neu- und Weiterentwicklungen kommen. Erstaunlich ist dennoch, wie heute selbst noch von Fahrradbefürwortern oft einer Art Reservatsideologie das Wort geredet wird: das Fahrrad als eine Art kleines schützenswertes verkehrspolitisches Subsystem in der bösen großen Autowelt. Das ist grundverkehrt.

Vorfahrt fürs Fahrrad:

Im Grund genügt etwas Farbe

Der Einstieg ins fahrradfreundliche Hamburg ließe sich schon mit einigen Tonnen Farbe und einigen klitzekleinen Verordnungen der Innenbehörde erreichen: Auf allen Hamburger Straßen müßten breite Radfahrstreifen aufgemalt, an jeder Kreuzung eine Fahrradvorrangzone quer über die Straße geschaffen, auf allen Straßen Tempo 30 eingeführt und, wo immer möglich, Fahrrädern vor Autos Vorfahrt eingeräumt werden (und das ginge bis auf die Bundesstraßen bei fast allen Straßen).

Fahrradnutzern und Fahrradplanern stände ein bißchen mehr an Selbstbewußtsein gut zu Gesicht: Ihr Verkehrsmittel ist nicht etwa bloß brav und umweltfreundlich, sondern hypermodern und zukunftsweisend. Nur Ewiggestrige besitzen oder benutzen in der Stadt noch ein Auto. Florian Marten