: ZWISCHEN DEN RILLEN: Splatter-Songs, durchgehend leicht verstimmt
Die Frauen werden es leid sein, aber immer noch bedeutet „Band“ zuvorderst eine Ansammlung musizierender Männer. Wenn eine oder mehrere Frauen dasselbe tun, ist das eben noch lange nicht dasselbe, sondern heißt dann „Frauen-Band“ oder „Girl-Group“. War es in den Siebzigern noch so, daß Girl-Groups meist von cleveren Managern ganz nach den Bedürfnissen eines männlich dominierten Marktes gestylt wurden (bestes Beispiel: Runaways), änderte sich das in den Achtzigern grundlegend. Punk bereitete den Boden für die New Wave, in der erstmals Frauen nicht nur vereinzelt musikalisch selbstbestimmt agierten. Bands wie Blondie oder die Shop Assistants prägten das Bild vom selbstbewußt männerfressenden, wasserstoffblonden Vamp mit einem Schuß unlogischer Unschuld, ein Image, das bis zum Ende der Achtziger nichts von seiner Faszination verlieren sollte. Nun, in den Neunzigern sind wir einen Schritt weiter, werden Frauen auch als Rockmusikerinnen neben Männern akzeptiert, wie Sylvia Juncosa gar als Heldinnen der Gitarre (des Männerinstruments schlechthin) gefeiert.
Im sogenannten Untergrund etablieren sich immer mehr reine Frauenbands, die aber, wie L7, meist nicht aus ideologischen, sondern rein praktischen Erwägungen die Kapellen monogeschlechtlich halten. Komischerweise gibt es gerade zwischen den drei bekanntesten Frauenbands dieser Tage eine personelle Querverbindung: Kat Bjelland von den Babes in Toyland spielte Mitte der Achtziger in einer Band zusammen mit Courtney Love von Hole (die inzwischen übrigens den Nirvana-Sänger Kurt Cobain ehelichte) und Jennifer Finch von L7.
Bekannt wurden die Babes in Toyland mit tatkräftiger Unterstützung der Underground-Päpste mit Major-Vertrag Sonic Youth, die sie 1990 als Vorgruppe verpflichteten. Ihr damals gerade erschienener Erstling „Spanking Machine“ überführte mehrstimmige Melodien wie von den B-52s in ein krachendes, atonales Ambiente.
Auch auf „Fontanelle“, ihrem Debüt auf einem Major, haben die Babes in Toyland nichts von ihrem gnadenlosen Müllsound verloren. Zwar haben sich einige kleine akustische, fast romantische Stellen eingeschlichen, aber meist kracht die Gitarre undifferenziert, wie sie es immer getan hat. Nimmt man die einzelnen Teile des Lärms auseinander, ergibt sich ein trauriges Bild: Das Schlagzeug ist weiterhin dumpf, beschränkt sich hauptsächlich auf die Toms und läßt die hellen Becken oft außen vor. Der Baß rumpelt wenig strukturgebend im Hintergrund. Die Rhythmen rollen wie eine alte Dampflok. Und trotzdem klingen die Babes jenseits ihres fast archäologischen Soundberges hell und aufgeweckt. Das ist das Hauptverdienst der Stimmen von Kat Bjelland und Lori Barbero, die immer noch das sirenenartige Geheule anstimmen, das an die B-52s gemahnt.
Hin und wieder geben sie sich doch der Moderne hin und bauen ein kompliziertes Break ein. Meist aber spielen sie einfach drauflos, als würden Das Tier und das Krümelmonster Oscar in dessen Mülltonne besuchen. Ab und an kommt Ernie vorbei und steuert einen lieblichen Backgroundgesang bei, der ganz wunderbar mit den harsch explodierenden Tönen im Vordergrund konstrastiert.
Die dem Sound zugrundeliegende Idee, die Gitarre durchgehend leicht verstimmt zu spielen, mögen sie von ihren Förderern Sonic Youth geklaut haben. Aber während sich deren Songs langsam aufbauen, um immer bedrohlicher anzuschwellen und in einem furiosen Finale zu enden, springen die Babes direkt hinein, als wollten sie keine Zeit verlieren. Wären Sonic Youth ein Horror-Film, in dem die Exposition weiten Raum einnimmt, dann spielen die Babes Splatter-Songs, die unvermittelt zum Eigentlichen kommen. So drängen sich denn auch 15 Songs auf gerade mal 37 Minuten. Auch ein Stück, wie „Won't Tell“, das viel zu zart beginnt, wird nicht langsam zum Dröhner, sondern schockartig. Ausnahme bildet da nur das Instrumental „Quiet Room“, ein scheinbar endlos verlängertes klassisches Heavy-Metal-Intro, das aber auch als Led-Zeppelin-Satire verstanden werden könnte.
Komischerweise bleibt kein einziger Song lange im Gedächtnis, obwohl fast jeder im Moment des Hörens wie ein Hit zu klingen versteht. Vielleicht passen die Einzelteile so wenig zusammen, daß das Langzeitgedächtnis sich gegen die Speicherung wehrt.
Babes in Toyland: Fontanelle (Reprise/Warner 7599-26998-2)
SPLATTER-SONGS,DURCHGEHENDLEICHTVERSTIMMT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen