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Fragwürdige Motive

■ Der UNO-Sicherheitsrat empfiehlt den Ausschluß Jugoslawiens aus der Vollversammlung

Fragwürdige Motive Der UNO-Sicherheitsrat empfiehlt den Ausschluß Jugoslawiens aus der Vollversammlung

Vielleicht heute schon wird die UNO-Vollversammlung in New York der Empfehlung des Sicherheitsrates folgen, das aus Serbien und Montenegro gebildete „Restjugoslawien“ aus den Vereinten Nationen auszuschließen. Darüber hinaus wird sie möglicherweise auch die sofortige Wirkung dieser Entscheidung feststellen und damit die Diplomaten „Restjugoslawiens“ von allen Beratungen der nächsten zweieinhalb Monate — auch denjenigen über den Krieg auf dem Balkan — ausschließen.

Derartige Beschlüsse gab es in der 47jährigen Geschichte der Vereinten Nationen nur sehr wenige. Im aktuellen Fall wird das Votum der beiden höchsten UNO-Gremien sicher auf breite Zustimmung stoßen angesichts der andauernden zweifelsfrei belegten massiven politischen und insbesondere militärischen Unterstützung Belgrads für die Kriegsführung der bosnischen Serben. Doch mit Blick auf die gleichzeitig stattfindenden Bemühungen der Genfer Jugoslawien-Konferenz bedeuten diese Beschlüsse ein Dilemma. Und die Motive, die die EG und andere Staaten zum jetzigen Zeitpunkt zu einem entsprechenden Antrag in New York veranlaßten, sind fragwürdig.

Formal ist an dem Beschluß der UNO-Gremien nichts zu kritteln. Die vorübergehende oder endgültige Einschränkung, beziehungsweise Aberkennung von Mitgliedsrechten gehört laut UNO- Charta zu den möglichen Maßnahmen gegen einzelne Staaten. Sie können sogar nicht nur dann angewandt werden, wenn — wie im vorliegenden Fall — ein bisheriger Mitgliedsstaat auseinandergefallen ist und damit das einst in die UNO aufgenommene Völkerrechtssubjekt nicht mehr existiert. Theoretisch sind diese Maßnahmen auch möglich bei gravierenden Verstößen eines Staates gegen Artikel der UNO-Charta, zum Beispiel bei Angriffskriegen gegen andere UN-Mitglieder. Ebenso können diese Kriterien zur Prüfung eines Antrages auf Neuaufnahme herangezogen werden, den zu stellen Serbien und Montenegro aufgefordert wurden. Insofern gehören diese Maßnahmen zum Instrumentarium nichtmilitärischer Druckmaßnahmen, deren Einsatz gegen Belgrad ja gerade auch von Gegnern einer militärischen Intervention zu Recht gefordert wird. Und um „Restjugoslawien“ schon für die bis Dezember laufende Session der Generalversammlung auszuschließen, mußte der Antrag zu Beginn der diesjährigen Herbstsitzung erfolgen, wenn routinemäßig die „Credentials“ aller anwesenden Staaten überprüft werden. Mit Rücksicht auf die Genfer Konferenz bis Ende November oder Dezember zu warten, wäre also nicht möglich gewesen.

Die formale Folgerichtigkeit des Beschlusses angesichts des Zerfalls der Jugoslawischen Föderation wäre allerdings überzeugender, wenn UNO- Sicherheitsrat und Vollversammlung auch in der Vergangenheit immer so konsequent und nicht nach politischer Opportunität gehandelt hätten. So konnte Rußland im letzten Jahr ohne große Debatte nicht nur den Sitz der Ex-Sowjetunion in der Vollversammlung, sondern auch den ständigen, mit Vetomacht ausgestatteten Sitz im Sicherheitsrat einnehmen.

Wichtiger als die formalen Fragen sind jedoch die möglichen politischen Implikationen des Beschlusses. Schon in den letzten zweieinhalb Wochen hat sich „Restjugoslawien“ nicht nur wenig konstruktiv, sondern überhaupt nicht an der Genfer Konferenz beteiligt. Konferenzvorsitzender Cyrus Vance befürchtet wohl zu Recht, daß die jüngsten Maßnahmen der UNO und des Sicherheitsrates diese Verweigerungshaltung bestärken. Tatsächlich handelten EG und UNO, die die Genfer Konferenz ja gemeinsam verantworten und auf Belgrads konstruktive Teilnahme großen Wert legen, mit ihrem Ausschlußantrag bzw. —beschluß ein Stück inkonsequent. Insbesondere bei der EG drängt sich der Eindruck auf, daß der Antrag vor allem deshalb zum jetzigen Zeitpunkt erfolgte, um — auch mit Blick auf das gestrige Maastricht-Referendum in Frankreich — außenpolitische Handlungsfähigkeit in der Jugoslawienkrise zu demonstrieren. Andreas Zumach

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