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Immer wieder liebevoll aufgemischt

■ „Tip-Top“ heißt die neue Game-Show im neuen Dritten „B1“, Start: 1.10.

Was demnächst als „Game-Show“ aus Berlin kommt, gibt es in Frankreich seit 1967. Fünf Jahre später wurde „Chiffre Lettre“ für einen englischen Sender zurechtgeschneidert und heißt dort „Countdown“. Aus neun Buchstaben ein Wort zurechtbasteln und ein paar Zeilen verrechnen, erschien auch den Fernsehunterhaltern beim SFB attraktiv genug für eine Spielsendung zum Mitknobeln. Macht nichts, daß derlei Ideen schon in Grundschulklassen den Unterricht verschönen — aufgepeppt mit einem studiogerecht modifizierten Kindergeburtstagsspiel kommt die Show als „Tip-Top“ ins deutsche Frnsehen.

Anlaß des Know-how-Transfers ist ein neues Programm — „B1“. Der SFB wird aus dem norddeutschen Regionalpaket N3 ausgekoppelt und sendet in Berlin ab Oktober allein auf dem dritten öffentlich-rechtlichen Kanal. Bei den Privatsendern boomen die Spielshows, und die Öffentlich-Rechtlichen stolpern hinterher. Samstagabendschinken sind out, so kommen die Folgen ins Vorabendprogramm: dreiundzwanzig Minuten, zwei Kandidaten, ein Juror, ein Zufallsgenerator, eine Assistentin und ein Moderator. Die Werbemöglichkeiten sind beschränkt und das Ganze mit 8.000 Mark pro Sendung eine Low-Budget-Produktion. Der Erfolg der ersten siebzehn Folgen entscheidet nun, ob „Tip-Top“ für 1993 en masse produziert wird. Eine Meldung in der „Berliner Abendschau“ und eine Notiz in einer lokalen Boulevardzeitung genügten, um ausreichend Kandidatinnnen und Kandidaten zur Auswahl zu haben. Dreimal testen, ob die angerückten Bewerber die Spiele denn auch begreifen, ein paar beiläufig eingestreute persönliche Fragen — nach zwei Tagen Bedenkzeit hatten die Angestellten im Auswahlgremium fertiggesiebt.

Die Moderation übernahm ein umtriebiger Newcomer. Klaus-Peter Grap hat in der Abwicklungsphase die Abendschau beim Deutschen Fernsehfunk moderiert, ist Schauspieler in diversen Fernsehserien, an den Berliner Kammerspielen und außerdem Synchronsprecher. Unter der Bedingung, noch anderweitig engagiert zu werden und gewillt, sich im Entertainment einen Namen zu machen, nahm Grap den Job an. „Liiieben Sie mich“, fordert er, als er vor Beginn der Aufzeichnung mit dem Publikum die Szene „enthusiastische Begrüßung eines Showmasters“ übt. Der 33jährige Westberliner erfüllt alle Ansprüche an Witzigkeit im Fernsehen. Er beherrscht die Kunst, auf jedes Stichwort ganze Assoziationsketten ohne Punkt und Komma hervorzusprudeln und lächelt smart, wenn er zum Luftholen seinen Redestrom unterbrechen muß. Die drei Damen, die für das Kandidatencasting zuständig waren, sind über jeden der Sprüche, die aus seinem Munde purzeln, begeistert und klatschen in jedes Päuslein. Drei oder vier der Sendungen werden an einem Abend aufgezeichnet. Zwischen den Folgen soll sich das Publikum — damit die Fernsehzuschauer die gleichen Gesichter nicht bemerken — auf Graps Anweisung hin „liebevoll aufmischen“ lassen. Moderator, Schiedsrichter und Assistentin ändern Kleidung und Frisur. Derweil promenieren die Gäste in den grauen Hallen des SFB. Sie können bei dieser Gelegenheit die gestreßten Augen erholen, denn die Studiogestalter haben sich im Farbkasten ausgetobt. Blauer Grund, schwarz abgesetzt und dann wild darauflosgepinselt. An der Studiouhr flackern neongrelle Leuchtelemente, bunt auch der Schlips des Moderators und die Requisiten für das Geschicklichkeitsspielchen. Er gibt sich große Mühe, den planmäßigen Ablauf mit clownesken Einsprengseln zu bestücken, stößt sich, stolpert oder trägt Russischbrot ins Studio, nur um mit vollem Mund sprechen zu können. Günther von Lojewski, der große Chef des armen Hauses, wird das zu schätzen wissen. Warum, wenn nicht um einem aufstrebenden Fernsehtalent weiter aufzuhelfen, sollte er sich zu einer belanglosen Aufzeichnung ins Studio begeben haben? Friederike Freier

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