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Kohl will mehr Reklame für Europa

■ Der Bundeskanzler will nun auf die Ängste der Bürger vor der Bürokratie eingehen — die Verträge jedoch nicht antasten/ Die Regierungen Resteuropas reagierten erleichtert

Eine substantiell neue Europapolitik ist nicht nötig, wohl aber mehr Reklame für die alte — diese Konsequenz zog gestern das offizielle Bonn aus dem knappen Ausgang des Referendums in Frankreich. Bereits im Oktober, so Regierungssprecher Vogel, soll eine 16 Millionen Mark teure Werbekampagne für Europa starten. Das neue Zauberwort, das den Bürgern die Ängste nehmen soll, heißt „Subsidiarität“. Auch in einem vereinigten Europa müßten die Einzelstaaten, Regionen und Gemeinden wichtige Kompetenzen behalten — dieses „Subsidiarität“ genannte Prinzip müsse „gestärkt werden“, erklärte Kohl gestern. Vertreter von CDU, FDP und SPD tuteten ins selbe Horn. Regionale und nationale „Identitäten“ müßten erhalten bleiben, „Zentralismus und Bürokratie“ dürften nicht überhandnehmen.

Deutsche Maastricht-Anhänger verstehen das knappe „Ja“ als Dämpfer. Am Freitag will Kohl eine Regierungserklärung zu Maastricht abgeben und dabei auch, so Sprecher Vogel, auf die Sorgen der Bevölkerung eingehen. Heute will Kohl zu seinem bedrängten Freund Mitterrand nach Paris fliegen.

Der Abstimmungsausgang sei „kein glanzvoller Sieg“ Europas, räumte die FDP-Vizevorsitzende Schwaetzer nach einer Sitzung des FDP-Präsidiums ein. Sowohl Liberale wie Bundeskanzler wandten sich gestern gegen Änderungen der Maastrichter Verträge, erhofften aber zusätzliche Beschlüsse von dem EG-Sondergipfel im Oktober. Der Gipfel, so Kohl, müsse Ängste vor einer übermächtigen Bürokratie abbauen und „Fehlerquellen abstellen“.

Vor allem was die „demokratische Ausprägung“ der Verträge angehe, seien noch „Wünsche offen“, meinte Schwaetzer. Solange die Verträge nur von den Regierungen getragen würden, „aber noch nicht von einer großen Mehrheit der Bürger“, fehle der entscheidende Stabilitätsfaktor. Mehr Rechte für die Bürger sieht das Subsidiaritätsprinzip einstweilen jedoch nicht vor. Eine Volksabstimmung in Deutschland lehnte das FDP-Präsidium ab.

Auch Regierungsvertreter, wie Verteidigungsminister Rühe (CDU,) griffen gestern die SPD- Forderung auf, das Parlament zu befragen, bevor 1996 oder 1999 die dritte Stufe der Währungsunion ansteht, mit der die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung verbunden wäre. Rühe warnte, man könne nicht „künstlich eine europäische Währung schaffen“.

Auch die SPD ließ keinen Zweifel an ihrer Europa-Treue. Der Abstimmungsausgang in Frankreich sei ein „Warnsignal“, erklärte das Präsidium der Partei. Nachbesserungen am Vertrag verlangte die SPD nicht ausdrücklich. Parteichef Engholm meinte lediglich, daß man nun „ein paar Punkte kritischer überdenken und wohl nacharbeiten“ müsse.

Regierung und SPD sind sich einig, daß die Ratifizierung der Verträge in Bundesrat und Bundestag fortgesetzt und bis zum Jahresende abgeschlossen werden soll. Am Freitag wird sich das Plenum des Bundesrates in erster Lesung mit den Verträgen befassen. Nach anfänglichen Protesten einiger Bundesländer hat inzwischen auch Bayern seine Vorbehalte aufgegeben. Grund: Der Bund will den Ländern in sie betreffenden EG-Fragen eine grundgesetzlich verbürgte Mitwirkungsmöglichkeit einräumen und das „Subsidiaritätsprinzip“ achten.

Ähnlich wie Kohl fiel den meisten anderen europäischen RegierungsvertreterInnen am Tag nach dem von ihnen mit großer Sorge verfolgten französischen Referendum ein Stein vom Herzen. Nachdenkliche Töne waren bei ihren Reaktionen eher die Ausnahme. Meist war von „Befriedigung“ (der italienische Ministerpräsident Amato und der spanische Regierungschef Gonzalez), dem „Gefühl von Glück“ (der portugiesische Ministerpräsident Cavaco Silva) oder „Erleichterung“ (der niederländische Staatssekretär Dankert) die Rede. Der griechische Regierungschef Mitsotakis erklärte, nun sei die Gefahr einer Abwertung der Drachme abgewendet. Belgiens Regierungschef Dehaene kündigte wie sein Kollege Kohl eine Informationskampagne über die EG an. Der irische Ministerpräsident Reynolds zog eine Linie von den FranzösInnen zu seinem eigenen Volk, das sich im Juni mit 69 Prozent für die Verträge ausgesprochen hatte. Politische Konsequenzen forderte unter anderem der Chef der spanischen Linksunion, Anguita. Er sagte, auch in seinem Land sei jetzt ein Referendum fällig.

Auch in den — zumeist beitrittswilligen — Efta-Ländern überwog gestern die Erleichterung. Der österreichische Bundespräsident Klestil meinte allen Ernstes, die FranzösInnen hätten mit ihren knapp 51 Prozent Ja-Stimmen „die Richtigkeit des Integrationskonzeptes als Fundament einer neuen europäischen Ordnung neuerlich bestätigt“. Und in Schweden sagte Ministerpräsident Bildt, der Ausgang sei „gut für Frankreich und Europa“. Er bedeute, „daß die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann“.

In Polen äußerte sich Europa-Minister Bielecki erfreut darüber, daß nach der französischen Entscheidung in Brüssel personell alles beim alten bleibe. Denn gerade der Kommissionspräsident Delors habe viel Verständnis für die polnischen Schwierigkeiten gezeigt. Hans-Martin Tillack, Bonn

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