: "Erhalten Sie uns den Glauben ..."
■ Drogensituation in St. Georg: Senator Runde kam mit leeren Händen / Aufgebrachte Anwohner machen ihrem Unmut Luft
: Senator Runde kam mit leeren Händen / Aufgebrachte Anwohner machen ihrem Unmut Luft
Fassungsloses Schweigen unterbrach den lärmenden Hexenkessel in der St.Georg Kirche am Montag Abend immer wieder. Es war eine Begegnung der dritten Art: Sozialsenator Ortwin Runde - weltfremder als ein Mensch vom Mars - trat vor die tobenden AnwohnerInnen des Bahnhofsviertels. Eine Veranstaltung unter dem Vorzeichen „Du hast keine Chance, also nutze sie“. Der Sozialsenator nutzte sie
nicht. Ohne Antworten auf ihre
1Fragen blieben zurück: empörte AnwohnerInnen, deren Unzufriedenheit sich zu einem ernstzunehmenden sozialen Sprengstoff zusammenbraut.
Ein kalkulierbarer Unmut war es, auf den sich der Senator hätte vorbereiten können. Schon am vergangenen Freitag hatten rund 30 soziale Initiativen und Geschäftsleute vor der Presse deutlich gemacht: „Wir wollen keine Aus-
flüchte mehr, sondern konkrete
1Angebote.“ Ihre Forderungen: Gesundheitsräume und Übernachtungsmöglichkeiten für Junkies und Prostituierte, Ausweitung des Methadonprogramms und der Entgiftungsplätze - all dies dezentral in anderen Hamburger Stadtvierteln. Für ihre Kinder wünschten sie sich betreute Spielplätze, offene Turnhallen und Schulhöfe als Freizeitflächen und Personal zur Drogenprävention in Schulen und Kindergärten.
Geboten bekamen sie vom Sozialsenator Redewendungen, mit denen er selbst auf einem Parteitag keinen Genossen vom Sessel gerissen hätte. Die BesucherInnen der Podiumsveranstaltung hielt es jedoch nicht auf den Kirchenbänken: Als Antwort auf das Bürokratendeutsch gingen kübelweise erboste Zwischenrufe und Beschimpfungen über Runde nieder.
Er werde sich dafür einsetzen, daß St.Georg im nächsten Jahr in das Programm für soziale Brennpunkte aufgenommen werde, so seine vage Versprechung. Drei Millionen Mark will der Senat in 1992/93 in Jenfeld, Dulsberg und die Westliche Innere Stadt investieren. Aus der federführenden Stadtentwicklungsbehörde (Steb) war jedoch gestern zu hören, daß eine Ausweitung auf andere Viertel derzeit nicht vorgesehen sei.
„Erhalten Sie uns den Glauben an die Demokratie“, hatte am Montag ein Anwohner appelliert, „denn wenn man hierzulande nur etwas erreicht, wenn man Menschen anzündet, ist dieser Staat am Ende.“ Sannah Koch
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