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In Montenegro rumoren Sezessionisten

Der kleinere Bestandteil „Rest-Jugoslawiens“ fühlt sich zunehmend von Serbien überfahren und international isoliert  ■ Von Roland Hofwiler

In Montenegro ist eine heftige Debatte entbrannt. Das kleine Volk der Montenegriner — kaum 600.000 Menschen — ist in zwei Lager gespalten: Soll Montenegro weiterhin eng an Serbien gebunden bleiben oder doch mehr Eigenständigkeit zeigen?

Seit Serbien zunehmend isoliert wird, bekommen die Kritiker am bisherigen Kurs Aufwind. „Wir wollen nicht länger eine serbische Kolonie sein“, erklärt Slavko Perovic, Chef der oppositionellen „Liberalen Union“. Und er holt weit aus: „Während im Mittelalter Serbien 350 Jahre von der Landkarte verschwunden war, existierte ein freier Staat Montenegro. Wir wollen wieder unabhängig sein.“ Obwohl man serbisch spreche, habe man eigene Traditionen, eine eigene Geschichte, eine eigene Identität. Jevrom Brkovic, einer der bekanntesten montenegrinischen Schriftsteller, meldete sich aus seinem slowenischen Asyl: „Die Belgrader haben es in der neueren Geschichte immer wieder verstanden, die Montenegriner für ihre Ziele einzuspannen — damit muß jetzt Schluß sein.“

Dies geschah jedoch nicht immer zum Nachteil Montenegros. Im kommunistischen Jugoslawien wurden nahezu alle Schlüsselpositionen paritätisch besetzt. Ob im Bundesparlament, ob im Vorstand einer Bank, ob im Direktorium einer Fabrik — Montenegriner waren immer dabei. Nicht zuletzt deshalb identifizierten sie sich mit der jugoslawischen Staatsidee, die ihnen weit mehr Vorteile als Nachteile brachte.

Gegen Sezession argumentiert die proserbische Fraktion, die in Gestalt der Kommunisten bei den letzten Wahlen noch die Mehrheit erringen konnte, mit der Geschichte. Das „historische Serbentum“ habe sich im Mittelalter nur im „Land der schwarzen Berge“ (Montenegro) entwickeln können, also seien die Montenegriner die „eigentlichen Serben“, Montenegro sei „serbisches Kernland“. Schützenhilfe erhalten sie vom serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic: „Serbien und Montenegro sind wie zwei Augen an einem Kopf, das Schicksal des einen ist das Schicksal des anderen.“ In der Konföderation beider Staaten sollen alle Entscheidungen nur mit gegenseitigem Einvernehmen gefällt werden. Die neue Verfassung der Föderativen Republik Jugoslawien, die im April verabschiedet wurde, legt unter anderem ein Proporzsystem fest. Wenn ein Serbe zum Präsidenten „Rest-Jugoslawiens“ gewählt wird, muß der Premierminister ein Montenegriner sein, beide Seiten haben die gleiche Anzahl von Ministern.

Die Realität sieht jedoch anders aus: Der jetzige Präsident Jugoslawiens heißt Dobrica Cosic, der Premier ist Milan Panic, beide sind Serben. Unter den Ministern finden sich zwei Ungarn, kein Montenegriner, dafür Dutzende Serben. Die Entscheidungen fallen in Belgrad. Slavko Perovic: „Wir sind schon längst Opfer des Krieges. Nicht nur weil wir die internationalen Sanktionen mittragen müssen, sondern weil im Sandzak die ersten Scharmützel unschuldige Menschenleben fordern.“

Sandzak, jene moslemische Enklave im Nordosten Montenegros, droht neben Bosnien der nächste Kriegsschauplatz auf dem Balkan zu werden. Gerade deshalb will die Opposition einen eigenen Staat proklamieren, zusammen mit den Moslems des montenegrinischen Sandzak und der albanischen Minderheit im Süden. Die Gegenfraktion sieht jedoch gerade in Belgrad einen Schutzpatron gegen diese Minderheiten.

Zwischen den beiden Fraktionen scheint keine Versöhnung mehr möglich. Fast resignierend meint Jevrom Brkovic, den Belgrad als „Sezessionisten“ per Strafbefehl sucht: „Es droht uns ein neues 1919.“ Damals tobte in Montenegro sechs Jahre lang ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Jugoslawien-Befürwortern und -Gegnern.

Serbien aber braucht Montenegro. Denn nur über die Schwesterrepublik hat Serbien noch einen Zugang zum Meer: Mit der Unabhängigkeit Kroatiens wurde die dalmatinische Küste auf fast tausend Kilometer zum „Feindesland“. Auch noch Montenegro zu verlieren ist für die meisten Serben unvorstellbar.

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