: Imaginäre Skulpturen
■ Wenn die einzig mögliche Form des Abbildes der Ausschnitt ist: Caroline Dlugos zeigt großformatige Tafelbilder im Kunstamt Tempelhof
Caroline Dlugos fotografiert, seitdem die deutsch-deutschen Grenzen gefallenen sind, die Berlin umgebende märkische Landschaft. Was sie dabei auf ihrem belichteten Film mit nach Hause nimmt, sind weniger Abbilder, als der Roh- oder Werkstoff für Bilder. Für großformatige Tafelbilder, die auch als Zwei- oder Dreiteiler auftreten und die die Landschaft durchaus zeigen, abbilden; aber mit Vorbehalt. Der Vorbehalt heißt: Ein Bild ist ein Konstrukt.
Und so zeigt sie ganz konkret die »Natur« der Konstruktion. Die Natur der Landschaft ist das, was Wald, Wiese, Acker, Baum zeigt — warum erkennen wir es? Die Natur des Fotobildes ist, was Wisch-, Kratz- und Lichtspuren auf dem Fotopapier zeigt — deshalb erkennen wir es. Und ebenso: Die Differenz, die die Wand, an der es hängt, zum Bild hat, macht es erst möglich ein Bild als Bild zu erkennen. Ohne Umgebung kein Bild, sondern nur Natur. Bei Fotografien, merkwürdigerweise, wird oft nur Natur gesehen, die Konstruktion vergessen. Dabei ist, wie sie sagt, die »einzig mögliche Form eines Abbildes der Ausschnitt. Mögliche, aber nicht zwingende Form des Ausschnitts ist das Rechteck.« Allein der Rahmen müßte also das Hergestellte des Bildes signalisieren.
Caroline Dlugos thematisiert diesen Ausschnitt, den Rahmen; sie thematisiert die Differenz, die zweierlei Natur erschafft. Im strengen Rechteck des klassischen Landschaftsbildes fließt nach dem Zufallsprinzip eine amorphone Form, die die Landschaft verdoppelt, indem sie ihre Nahsicht zeigt, etwa den Sand, der die märkische Landschaft »baut«. Auf das Foto wird eine Flüssigkeit getropft, ihre Verlaufsform ist die Vorgabe, in die sie diese Nahsicht einmontiert. Wenn sie ihre Arbeiten »Imaginäre Skulpturen« nennt und sagt, »klassischer Skulptur und Fotografie ist gemein, daß ein Teil aus einem bestehenden homogenen Ganzen herausgetrennt wird, um in eine eigenständige Form gebracht zu werden, und daß beide mittels Umkehrverfahren aus Positiv und Negativ reproduzierbar sind«, dann spielt sie mit diesem Prinzip auf mehreren Ebenen. Die zweifache Sicht eines Kornfelds wird zur dreifachen, wenn nicht nur das Korn in fotografischer Makrosicht seinen eigenen Raum in der Bildmontage gewinnt, sondern das »Korn« der Emulsion in der starken Vergößerung als Strukturelement der Fotografie hinzukommt.
Die Landschaft als Bild — und nur so kennen wir Landschaft, das hat mit der Geschichte der Wahrnehmung zu tun, die die Landschaftsansicht aus der Natur herausbrach und sie so zähmte — wird noch einmal als Bild-Landschaft wiedergewonnen, denn das Kunstamt Tempelhof stellt schöne große weiße Wände zur Verfügung, auf denen die Dip- und Triptychen ihren ganz eigenen Bilder- Raum erschaffen. Diese Hängung findet in einem großen Doppelbild ihren Widerhall, indem nun der Innenraum, die geriffelte Betonstruktur der Wand an der es hängt, in der Fließform erscheint.
Die Mehrschichtigkeit der Wiedergabe von Wirklichkeit ergibt bei Caroline Dlugos, wie sie selbst sagt, »Landschaft in ihrer Eigenschaft als universeller Raum einerseits und Träger von Identität, Tradition und Mythos andererseits.« Brigitte Werneburg
Caroline Dlugos im Kunstamt Tempelhof, Galerie im Rathaus, bis 1. Oktober. Finissage-Konzert: Sonntag 27. September, 11 Uhr. Es gibt einen hervorragend gestalteten Katalog.
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