Die Bäume schlagen Alarm

■ Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt: Eine Bilanz des Jahrhundertsommers 1992

Sonne, Sonne und nochmals Sonne. Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt: Selten hat das Wetter die Nation so bewegt und entzweit wie im vergangenen Sommer. Verabschiedet hat sich ein Sommer der Superlative und Extreme. Die Urlauber und Sonnenanbeter genossen das »Superbadewetter« in vollen Zügen, den Bauern trieb die »Dürrekatastrophe« nächtlichen Angstschweiß auf die Stirn. Je länger das Azorenhoch den Norden der Republik verdörrte und der Süden in den Regenfluten des Biskaya-Tiefs ertrank, um so ratloser wurden die Metereologen: Trieb hier nur eine Kapriole des Wetters Schabernack, oder waren es die Vorboten des Klimakollapses? »Solche Fragen abschließend zu beantworten muß wohl einer späteren Zeit vorbehalten bleiben«, gibt der Klimatologe des Deutschen Wetterdienstes, Hans-Dieter Piehl, offen zu. Im Moment könne nur gesagt werden, daß sich der vergangene Sommer — »wenn auch sehr am Rande — noch in der Schwankungsweite unseres Klimas« bewegt habe. »Man kann aber feststellen, daß dieser Sommer durchaus Kriterien aufweist, die als Folge des ‘Treibhauseffekts‚ als mögliche Klimaänderungen vorausgesagt werden«.

Einstweilen geht der vergangene Sommer als Jahrhundertsommer mit etlichen Rekorden in die Klimageschichte ein. Der heißeste Tag war der 9. August, an dem auf dem Alexanderplatz 37,9 Grad gemessen wurden. Mit einer durchschnittlichen Temperatur von 20,8 Grad in den Monaten Juni, Juli und August hat der Sommer alle seine Vorgänger in den vergangenen 92 Jahren in den Schatten gestellt, auch wenn es in den vergangenen Jahren auffallend viele warme Sommer hintereinander gab. Allerdings muß man die metereologischen Aufzeichnungen schon bis in die Jahre 1834, 1826, 1819, 1781 zurückverfolgen, um auf so eine Hitze wie 1992 zu stoßen. Spitzenreiter ist und bleibt das Jahr 1757 mit einer nie wieder dagewesenen Mitteltemperatur von 21,5 Grad.

Kaum ein Sommer hat wohl so viele Gewinner und Verlierer produziert wie der vergangene. Getränkehersteller und Eisverkäufer erzielten Höchstumsätze. Allein im Juni verkaufte die Berliner Kindl-Brauerei in der Spreemetropole 10 Millionen Liter Bier, soviel wie nie zuvor in der 121jährigen Unternehmensgeschichte. Die Speiseeisfirma Hennig setzte täglich bis zu 6.000 Kugeln ab, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Schwimmbäder wie das Strandbad Wannsee erfreuten sich eines seit der Grenzöffnung nicht mehr dagewesenen Besucheransturms: 386.545 Singles, Väter, Mütter und Blagen packten die Badehose ein.

Zuviel Sonne, zuwenig Regen? Den Berliner Marihuana-Eigenanbauern bescherte das Wetter eine Würze von geradzu umwerfender Qualität, im Gegensatz zu den Bauern in Brandenburg, die katastrophale Umsatzeinbußen hinnehmen mußten. Die erschütternde Bilanz: Nur 1,36 Millionen Tonnen Getreide fuhren die Landwirte bei der diesjährigen Ernte ein, im vergangenen Sommer waren es 2,08 Millionen Tonnen. Von allen Bundesländern traf die Dürre die brandenburgischen Bauern mit Abstand am härtesten. »Wir haben 55 Prozent des Bundesdurchschnitts erzielt«, berichtet der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, Detlef Herbst. Die leichten Böden der sogenannten »märkischen Streusandbüchse« fernab vom Wasser hätten besonders unter der Trockenheit gelitten.

Im Gegensatz dazu kamen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen- Anhalt, wo es kaum mehr geregnet hat, mit 20 bis 27 Prozent Ernteeinbußen vergleichsweise glimpflich davon. Aber auch wenn der Ernteausfall die 44.000 Mitarbeiter der brandenburgischen Landwirtschaftsbetriebe sehr hart traf, liquidieren mußte deshalb bislang keiner. Mit einem Notprogramm von knapp 94 Millionen Mark aus Landesmitteln und einer versprochenen Finanzspritze aus Bonn von 83 Millionen Mark scheint die Existenz der Bauern zumindest für dieses Jahr gesichert.

Die 822 Sonnenstunden im Juni, Juli und August und die große Trockenheit haben auch die städtische Natur schwer gebeutelt. Die Laubbäume in den Forsten und Straßen lassen bereits ihre Blätter fallen, vier Wochen früher als normal. Aufgrund des Feuchtigkeitsmangels im Sommer haben sie all ihre Kraft in die Entwicklung der Blüten und Samen gesteckt und die Blätter und das Holz vernachlässigt, weiß der Waldschadensbeauftragte, Elmar Kilz. »Das ist ein klares Notzeichen.« Zudem seien auffallend viele Samen, wie Bucheckern und Eicheln, in diesem Jahr taub. »Wenn man durch den Wald geht, hat man den Eindruck, daß er relativ unbeschädigt davongekommen ist, aber ich habe gewaltige Angst vor dem nächsten Sommer«, sagt Kilz. Erst dann würden die eigentlichen Schäden offenbar, zum Beispiel, daß die Bäume nicht mehr austrieben oder ihre Nadeln und Blätter verlören.

Trotz aller persönlichen Freude über den schönen Sommer warnt Kilz davor, diesen als normales Naturphänomen auf die leichte Schulter zu nehmen. Schließlich sei dies bereits der dritte heiße Sommer kurz hintereinander. »Im Gegensatz zu früher gab es in der Stadt nie soviel Verkehr und so häufige Ozonwarnungen.« Wenn die Politiker nicht bald Gegenmaßnahmen einleiten würden, befürchtet er, »wird die Mischung Hitze und Verkehr das Faß bald zum Überlaufen bringen«. Plutonia Plarre