: Tuberkulose, Krebs und Sterilität
■ Französische Atomtests: Tuaregs im Süden Algeriens erfuhren nichts über Gefahren
„Meine Freunde arbeiteten ohne Schutzanzüge auf dem französischen Atomtestgelände in Algerien. Sie hatten ein Dosimeter dabei, aber niemand kannte dessen Bedeutung.“ P. ist Tuareg, Angehöriger eines auf drei Millionen Menschen geschätzten Nomadenvolkes, das in fünf Ländern Westafrikas zu Hause ist: Algerien, Mali, Niger, Libyen und Burkina Faso. Erst vor einigen Monaten hat er durch AktivistInnen der französischen Antiatomtestorganisation Stop Essais erfahren, was die Franzosen von 1958 bis 1966 in dem südalgerischen Gebirge Hogar tatsächlich gemacht haben.
Jetzt ist P. nach Berlin gekommen, um auf dem Kongreß für Strahlenopfer mehr über die Folgen von Atomtests zu erfahren. Seinen vollständigen Namen mag er nicht nennen. Auch der Veranstalter rät ihm von einem öffentlichen Auftritt ab.
„Wir wußten natürlich, daß die Franzosen militärische Versuche durchführten. Wir sahen die Wolken und spürten das Beben der Erde.“ Von den Gefahren radioaktiver Strahlung aber erfuhren sie nichts. Die Besatzer hätten zwar immer wieder versucht, die Bevölkerung aus der näheren Umgebung des Testgeländes zu vertreiben, die Tuaregs aber nahmen an, sie hätten es auf das beste Weideland abgesehen und versuchten, sich und ihre Tiere zu verstecken.
Vor allem aus Mali geflohene Tuaregs wurden auf dem Testgelände angestellt, um die Löcher für die nächsten Versuche auszuschachten, berichtet P. Später hätten auch viele in dem Gebiet mit Erfolg nach Kupfer gesucht, das sie dann an algerische und marokkanische Händler weiterverkauften. Tuberkulose, Krebs, Lungen- und Augenleiden hätten seit Beginn der sechziger Jahre deutlich zugenommen. Das habe ihm ein befreundeter Krankenpfleger berichtet. Die Ursache dafür aber blieb den Einheimischen verborgen. Mehrere Stämme von 100 bis 400 Mitgliedern, die ihr traditionelles Weidegebiet am Hogar hatten, seien inzwischen ausgestorben. Auch die traditionelle Medizin für die Kamele gegen Haarausfall und Hautkrankheiten half seit dieser Zeit nicht mehr, erinnert sich P. Viele Tiere seien verendet.
Eine französische Vertreterin der Organisation für das Überleben der Tuareg erzählt, sie habe sich bei ihren Besuchen Anfang der sechziger Jahre gewundert, daß es auffallend wenig Schwangere und Kleinkinder gab. „Damals nahm ich an, die Tuareg hätten irgendeine Form von Verhütungsmittel.“ Die wahre Ursache der weitverbreiteten Sterilität sei ihr erst später klargeworden. Besonders die Frauen, deren Bedeutung in der Tuaregkultur unmittelbar mit ihrem Kinderreichtum verbunden ist, litten unter der Unfruchtbarkeit.
Inzwischen ist das Testgelände zwar abgesperrt, doch die meisten der Tuaregs wissen bis heute nichts von der Verseuchung des Gebietes. Stop Essais fordert deshalb nicht nur, daß die Militärs endlich ihre Archive öffnen. Die Dachorganisation von 30 Gruppen will vor allem, daß eine Ärztemission die Menschen in der Gegend untersucht und aufklärt. Bis heute trinken die Tuareg Wasser, das vermutlich hochgradig verstrahlt ist. Annette Jensen
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