: Schwarzes Ei im Nest
■ The American Drama Group Europe im Kulturzentrum Schlachthof
Randle Patrick McMurphy als Schwarzer — da mußte man erstmal schlucken. Bei „Kuckucksnest“ denkt fast jeder zuerst an das Grinsen von Jack Nicholson in der Film-Rolle. Und gegen diese scheinbar endgültige Besetzung des Model-Nonkonformisten 1975 muß jede Theaterinszenierung erstmal anstinken. Das Bühnenstück entstand nach dem inzwischen schon erstaunliche dreißig Jahre alten Roman von Ken Kesey, noch vor dem Film. In der American Drama Group Europe war die Besetzung des McMurphy durch den schwarzen Schauspieler Paul Michael Carter eine geschickte Finte, denn nach der gründlichen Irritation bei seinem ersten Auftritt war das Thema abgehandelt: Man versuchte gar nicht mehr, diesen jungen Farbigen mit der Körpersprache eines Eddie Murphy mit Nicholson zu vergleichen, und sehr schnell wurde er mit seiner Bühnenpräsenz und Agilität in der Rolle glaubwürdig. Außerdem verkörpert er einen Jugendlichen aus dem Amerika der 90er Jahre, und alleine dadurch hat das Stück schon eine sehr wirksame Verjüngungskur mitgemacht. Denn abgesehen von einem Witz über George Bush und Dan Quayle wurde streng im Stil des Romans, also der frühen 60er Jahre, inszeniert. Die Insassen der psychiatrischen Abteilung, der stumme Chief mit dem Besen und die furchteinflößende Big Nurse als Verkörperung aller gesellschaftlichen Unterdrückunsmechanismen spielten in Uniform und Bademänteln sehr werktreu und ohne jeden aufgesetzten Anspruch auf Originalität. Auch wenn das Stück als Parabel über Rebellion und Regression heute etwas zu schlicht und romantisierend wirkt, bleibt die erzählerische Kraft von Kesey intakt. Die Kernszenen haben so gute Texte, Pointen und dramaturgische Wendungen, daß sie aus eigener Kraft heraus wirken. Und wenn sich die Mitglieder der American Drama Group Europe in ihrem Spiel eher zurückhielten, sprach dies für ihre schauspielerische Kompetenz. Das gesprochene Amerikanisch war sicher auf deutsche Ohren heruntergeschaltet, und von McMurphys (bzw. Keseys) begnadeten Beschimpfungen blieb nicht mehr viel übrig. Eine easy listening Version war es trotzdem nicht. Und eine schöne Pointe, die die Vorlage kommentiert, hat sich die Gruppe doch noch geleistet: Auf die knifflige Frage, ob die psychiatrische Abteilung und alle Figuren auf der Bühne überhaupt wirklich existieren würden, antwortet einer der Irren: „Vielleicht ist all dies auch nur eine imaginierte Mischung aus Kafka und Mark Twain!“ Wilfried Hippen
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