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Bremerhaven feierte Marilyn

■ Uraufführung: Das neue Musical: Naiver Text, konventionelle Musik, standing Ovations für den Mythos

Gudrun Schade: Star des Abends F.: Team f. Photographie

Das Timing hätte nicht besser sein können. Im August wurde der 30. Todestag Marilyn Mon

roes zum medialen Großereignis aufgeblasen, ein neues Buch über die letzten Wochen vor ihrem Tod fragte: War Marilyn einem politisch motivierten und von höchster Stelle gebilligten Mord zum Opfer gefallen? Gerade rechtzeitig ist sie in diesen Tagen zur Titelfigur eines Musicals geworden. Seit dem Wochenende steht die Tänzerin und Sängerin Gudrun Schade auf der Bühne des Stadttheaters Bremerhaven als arme Norma Jean Baker, die von der „Hollywood- Maschine“ zum blonden Männertraum stilisiert wird. Sie ist umstellt von ihren illustren Partnern Joe DiMaggio (Apcar Minas), Arthur Miller (Günther Piro), Robert Kennedy (Martin Bachmann), noch einmal darf sie den Präsidenten JFK mit ihrem zart gehauchten Geburtstagsständchen betören und mit den klassischen Posen im wehenden weißen Rock aus Billy Wilders „Verflixtem siebten Jahr“ brillieren. Die Uraufführung des Musicals „Marilyn“ von Max Beinemann (Buch) und Günther Fischer (Musik) unter Regisseur Gerhard Platiel wurde enthusiastisch gefeiert. 15-minütige Standing Ovations hat dieses Haus selten erlebt. Der gebürtige Dresdner Max Beinemann, der als Oberschüler wegen „staatsfeindlicher Hetze“ monatelang in Untersuchungshaft saß will den Mythos um Marilyn entschlüsseln, indem er die zerbrechliche Frau hinter der Hollywood-Maske zeigt. In 13 Bildern wird der Weg vom Waisenkind zur Film-Diva gezeigt, die schließlich — von Robert Kennedy verraten und von den Filmgewaltigen geschmäht — als tablettenabhängiges Nervenbündel in einer Edelbar ihren letzten Auftritt hat. Ein junger Film-Fan namens Bob Shelton (Christoph Maria Herbst), der im Autokino in der Jetzt-Zeit auf sein Idol stößt, führt als netter Jüngling das Publikum durch die Stationen von Marilyns kurzer Geschichte voller „mieser Typen“. Max Beinemanns Versuch, Marilyn vor ihren skrupellosen Männern in Schutz zu nehmen, ist anrührend hilflos: verführerische Weiblichkeit und kindliche Geborgenheitssuche gehörten zusammen zum Mythos Marilyns. Beinemann löst so keine Klischees auf. Günther Fischers Musik bestätigt ihn darin: Im Fahrwasser der seichtesten Muse hat der erfolgreiche DDR- Filmkomponist (200 DEFA- und mehrere US-Filme) einen schwülstig-schwerfälligen Soundtrack für traditionelles Orchester und Rockgruppe geschrieben: Ein routiniertes Potpurri aus Ohrwürmern, garniert mit Jazz-Elementen, Anklängen an Spirituals und illustrativer Filmmusik, die die intelligenten Möglichkeiten, ironisch mit der Musik der 50-er Jahre oder auch mit Monroe-Songs zu spielen, gar nicht erst aufgegriffen hat. Das Städtische Orchester — dirigiert von Christoph Wohlleben — tut sein Bestes, um in die musikalischen Floskeln Dynamik zu bringen. Das Stadttheater hat bühnentechnisch gezaubert: „Marilyn“ ist für Bremerhavener Möglichkeiten ein Spektakel der Superlative. Da tauchen Freitreppen mit großem Chor auf, mondäne Bars, ein echter Ford Mustang Cabrio (Baujahr 1969), Dia- und Video-Einblendungen, da singt ein Kinderchor, das Ballettt tanzt, und drei schwarze Gospel-Sängerinnen reißen das Publikum mit „Star Sprangled Banner“ zu spontanen Beifallsstürmen hin.

Star des Abends ist Gudrun Schade als Marilyn. Beinemann und Fischer haben mit dem naiven Text und der konventionellen Musik kein großes neues Musical ausgeheckt. Aber der Mythos feiert Triumphe, trotz aller sozialkritischer Kommentare; wir alle lieben ihr Bild zu sehr. hans happel

Weitere Aufführungen:

2., 7., 9., 15.10. (20.00 Uhr), 18., 25.10., 7.11. (19.30 Uhr)

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