: PCB gast aus der Deko-Decke
Umweltmedizin-Symposium: Fast in jedem geschlossenen Raum lauern Gefahren; Ärzte fordern, Kindergärten und Schulen zu sanieren ■ Aus Emstal Monika Lange
Der Mensch der modernen Industriegesellschaft verbringt im Durchschnitt 90Prozent des Tages in geschlossenen Räumen. Im vermeintlich sicheren Heim oder Büro jedoch lauern immer mehr Gefahren: Asbest wirbelt aus dem Heizlüfter, Formaldehyd gast aus den Schränken, das giftige Pentachlorphenol aus der Deko-Holzdecke und mindestens eine der rund 200 verschiedenen polychlorierten Biphenyle (PCB) aus Fugendichtungen oder Deckenplatten. Die Fülle dieser Bedrohungen beschäftigte am Wochenende rund 150 Wissenschaftler aus Deutschland, Japan, den USA, Ungarn, Polen und Großbritannien auf dem siebten Internationalen Symposium für Umweltmedizin in Emstal bei Kassel.
Viele moderne Baustoffe und Bauweisen sind inzwischen in Verdacht geraten, die Gesundheit zu schädigen: Übelkeit, Depressionen, Allergien, Neurodermitis und Hautekzeme und sogar verschiedene Krebsarten können die Folge sein. Besonders ausgebildete ÄrztInnen sprechen bei manchen PatientInnen inzwischen von einem „Sick-Building-Syndrom“.
Die größten Schwierigkeiten bereitet es immer noch, die krankmachenden Stoffe überhaupt ausfindig zu machen, sagte der Frankfurter Ökotoxikologe und Bauingenieur Johann Josef Fonfara in Emstal. Man verdächtigt heute über 2.000 Baustoffe, krankmachende Eigenschaften zu haben. Ihre fatale Wirkung rührt unter anderem daher, daß durch die perfekter werdende Wärmeisolierung kaum noch ein Luftaustausch in den Wohn- oder Bürogebäuden stattfindet, sagte Fonfara.
PCB sind überall
Ein besonders heikles Problem sind die PCB. „Meiner Meinung nach wird die Sanierung von PCB- verseuchten Gebäuden uns vor weit größere Probleme stellen als das Asbest“, meinte Fonfara. PCB sind vor allem in Kondensatoren elektrischer Anlagen, Dichtungsmassen und Isolierungen vorhanden und als krebserregend eingestuft. Sie könnten daher in allen Gebäuden mit Betonfertigteilen und größeren Mengen Dichtungsmasse zum wirklichen Problem werden. Fonfara sprach von der „Zeitbombe PCB“.
PCB verändern vor allem das Immunsystem, erläuterte die Bochumer Wissenschaftlerin Monika Raulf. So manipulieren sie die Lymphozyten — einen wesentlichen Bestandteil des menschlichen Abwehrsystems — und machen den Betroffenen vor allem stark infektanfällig. Durch diese Schwächung des Immunsystems kann es dann auch zu anderen Erkrankungen kommen — im schlimmsten Fall Krebs. Sind die PCB erst einmal über die Nahrungskette in den Körper gelangt, ist die Abhilfe sehr schwer: Da sie sich im Fettgewebe ablagern und nur sehr langsam abbaubar sind, bekommt man sie von dort kaum noch weg.
Bauingenieur Fonfara forderte aus seiner Erfahrung, zunächst vor allem Schulen und Kindergärten auf PCB zu untersuchen und gegebenenfalls zu sanieren, da Kinder wesentlich sensibler auf solche Schadstoffe reagierten. Daß dies keine Schwarzmalerei ist, zeigt ein Beispiel, das der Emstaler Umweltmediziner Klaus-Dietrich Runow brachte: Im Landkreis Kassel steht eine PCB-verseuchte Schule, in der sich weder LehrerInnen noch SchülerInnen länger als zwei Stunden aufhalten konnten, ohne daß ihnen übel wurde und sie mit schweren Konzentrationsstörungen zu kämpfen hatten. Ob die Schule nun abgerissen oder von Grund auf saniert werden soll, steht noch nicht fest.
Runow, der maßgeblich an der Organisation der Tagung beteiligt war, schimpfte gleich zu Beginn der Tagung, daß Schulmedizin und Krankenkassen diese Umweltprobleme noch nicht ernst nähmen. An den medizinischen Fachbereichen der Universitäten sei sie Stiefkind im Gerangel der etablierten Professoren. Und Krankenkassen weigerten sich nach wie vor häufig, eine umweltmedizinische Behandlung zu übernehmen.
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