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Mit viel Schmackes über den Puck

■ Ratingen wartet auf die Einbürgerung seiner Kanadier und verliert beim wiedererschwachten Mannheimer ERC mit 0:3

Mannheim (taz) — In den fünfziger und sechziger Jahren war Mannheim für die großen Teams des bundesdeutschen Eishockey wie EV Füssen, SC Rießersee und EC Bad Tölz nur eine Durchgangsstation zum Highlight des Puck- Wochenendes. Einhundertzwanzig Kilometer westlich warteten am Nachmittag darauf in der „Peter Cunningham Arena“ in Zweibrücken die „Royal Canadien Air Force“ Flyers auf die in Mannheim meist siegreichen Bayern, um ihnen auf dem kleineren kanadischen Eis die Lederhosen auszuziehen, lange bevor dem FC Bayern Gleiches erstmals angedroht wurde.

Ende der sechziger Jahre verließen die Kanadier die Westpfalz, die nachfolgenden Amerikaner ließen das Eishockey links liegen und das Stadion vergammeln.

Auch der EV Füssen, der EC Bad Tölz und der SC Rießersee verschwanden einer nach dem anderen von der Eishockey-Landkarte der Bundesliga. Die Füssener und Tölzer sind seit dieser Saison gar drittklassig, die Cracks aus dem Werdenfelser Land zieren das Tabellenende der eingleisigen 2. Bundesliga.

Dafür hat der EC Ratingen nun Einzug gehalten in die höchste Spielklasse. Zum Schrecken der Etablierten setzten sich die mit etlichen Wolga-Deutschen verstärkten Rheinländer gegen den ES Weißwasser in der Relegation durch. Für die 1. Liga heuerte ECR-Präsident und Edelsteinhändler Georg Dommel sechs kanadische Eishockey-Deutsche an, doch heute noch warten Brad Bergen, Art Rutland, Greg Evtushevski, Ken Petrash, Brian Hannon und Bob Crawford auf ihre deutschen Pässe. So trat der EC Ratingen in Mannheim mit nur acht Stürmern an. Zudem fehlten Nationaltorhüter René Bielke (Fingerbruch nach Rangelei mit Berliner Eisbären-Fans) und Verteidiger Alexander Wunsch (Kieferbruch).

Für Bielke stand der zwanzig Jahre alte Carsten Solbach, der einzige echte Ratinger im ECR- Team, im Tor. Und der wäre zum Matchwinner geworden, hätten seine arg dezimierten Vorderleute sich nicht so tolpatschig angestellt. Der 23jährige Boris Fuchs aus Ust- Kamenogorsk in Kasachstan und sein drei Jahre älterer Bruder Andrej hieben mehr als einmal mit dem Stock über den Puck. Technisches Unvermögen bei Ratingen und ein guter Mannheimer Keeper Beppo Schlickenrieder verhinderten im ersten Drittel eine Sensation. Statt dessen hieß es durch einen abgefälschten Schuß von Dieter Willmann 1:0 für die Mannheimer. Wie schlecht die draufwaren, zeigte der Pole Ireneusz Pacula, der mit dem Puck hilflos zweimal um das eigene Tor kreiste, was ihm den Tribünenzuruf „Fahr doch in die Kabine“ einbrachte. Das taten sie denn gleich alle gemeinsam, derweil das aus der Rosenheimer Eissporthalle importierte Großgebläse den Nebel vertrieb.

Als Igor Kusnezov mit einer Unterschenkelfraktur ausscheiden mußte und Sergej Vikulov für zwei Minuten auf die Strafbank ging, brach Ratingen ein. Harold Kreis fälschte einen Lala-Schluß zum 2:0 ins Tor, und Michael Heidt kurvte über das ganze Eis zum 3:0-Endstand. Die Ratinger könnten jetzt nur hoffen, daß ihre Deutsch-Kanadier möglichst bald spielen dürfen, sonst droht ihnen schon morgen in eigener Halle gegen die DEG der nächste Einbruch und ein langer Aufenthalt am Tabellenende zusammen mit den Berliner Eisbären.

In Mannheim, wo der Etat um 1,6 Millionen DM erhöht und ein Lizenzentzug gerade noch abgewendet werden konnte, herrscht derweil wieder Mittelmaß, das aber angesichts der Kölner Schwächen und des Rosenheimer Abgangs sogar auf Platz drei und vier reichen könnte. Den Kredit aus den vergangenen Play-off-Spielen gegen den KEC und die DEG haben die Cracks vom Friedrichspark jedoch erst einmal leichtfertig verspielt. Günter Rohrbacher-List

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