Israels Rechte perplex und gespalten

■ Nach dem Wahlsieg der Arbeiterpartei finden die rechten Gruppierungen nur mühsam in ihre Oppositionsrolle/ Proteste beginnen langsam/ Palästinensische Gefangene im Hungerstreik

Tel Aviv (taz) — Nachdem die Arbeiterpartei unter Jitzhak Rabin vor drei Monaten die Wahlen gewonnen hatte, schienen Israels Rechtsparteien wie weggeblasen. Dabei waren der Likud-Block und seine rechten Koalitionsparteien— nach fünfzehn Jahren an der Macht — nur mit einer knappen Mehrheit von 80.000 Stimmen zugunsten des linken Parteienblocks geschlagen worden. Nun sind Israels Parteien gewöhnlich ausgesprochen schlechte Verlierer: Aber Likud-Chef Jitzhak Schamir war so schockiert, daß er nach der Bekanntgabe der Niederlage einfach von der Bildfläche verschwand.

Und so stieß die neue Koalitionsregierung der Arbeiterpartei kaum auf Widerstand, als sie unverzüglich einen teilweisen Siedlungsstopp in den besetzten Gebieten anordnete und eine Reihe weiterer heiliger Kühe des alten Regimes mitschlachtete. Der neue Regierungschef konferierte mit Präsident Mubarak in Kairo und erhielt vom amerikanischen Präsidenten das langersehnte Versprechen für eine Kreditgarantie. Dieser ließ sich die Einwilligung Israels für den Verkauf von 72 modernen amerikanischen Kampfflugzeugen an Saudi-Arabien geben.

George Bush und Außenminister James Baker konnten Rabin außerdem überreden, den syrischen Gesprächspartnern bei den bilateralen Verhandlungen entgegenzukommen. Und Rabin stimmte — im Gegensatz zu seinen ursprünglichen Plänen — zu, diesen Dialog mit Damaskus den Autonomieverhandlungen mit den Palästinensern einstweilen vorzuziehen. Aber die rechten Oppositionsparteien begannen erst nach vierwöchigen Verhandlungen über die Zukunft der Golan-Höhen den Protest zu organisieren — und nachdem der israelische Regierungschef mehrfach seine Bereitschaft zu territorialen Kompromissen signalisiert hatte, falls Syrien einem separaten Sonderfrieden mit Israel zustimmen würde.

Nach dem Wahlsieg war Rabin überzeugt, daß nur eine breite Koalition dem Druck der rechtsextremen Opposition standhalten könnte. Daher holte er sowohl religiöse als auch rechtsorientierte Parteien an die Seite der Arbeiterpartei und ihrer linken Bundesgenossen (Meretz) in die Regierung.

Sehr bald entdeckte er, daß derlei Befürchtungen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen unnötig waren. Die rechte Opposition blieb lange zu perplex, kampfesmüde, führerlos und gespalten, um sich ernstlich der grundsätzlich anderen Taktik des Rabin-Teams in den Weg zu stellen.

Einige Likudführer, wie Ex- Verteidigungsminister Mosche Arens, kündigten ihren Abtritt von der politischen Bühne an. Andere, wie Parteichef Schamir, begaben sich auf lange Auslandsreisen. Schamirs Stellvertreter und Rivale David Levy zog es vor, im Kreise der Familie Gedanken über seine politische Zukunft zu wälzen. Er überlegte, ob es angesichts der Krise im Likud vielleicht doch ratsamer sei, eine eigene, populistische Partei zu gründen — die auch als Koalitionspartner der Rabin- Regierung den schnellsten Weg zurück zur Macht finden könnte.

Ariel Scharon hingegen wartete auf eine Gelegenheit, sich an die Spitze aller rechten Oppositionsgruppen zu stellen. Er wollte als „überparteilicher“ Führer der Siedler und der radikal-religiösen Nationalisten überhaupt auftreten. Diese widersetzen sich jeder territorialen Konzession und wollen auch weiterhin neue „politische“ Siedlungen in den besetzten Gebieten errichten. Ende September ließ sich Scharon zum Führer einer breiten Koalition vornehmlich außerparlamentarischer rechter Gruppen machen. Ziel dieser Koalition ist es, jeden Rückzug aus besetzten Gebieten zu verhindern. Sobald Gebietsveränderungen auf der Tagesordnung stehen, wollen sie Neuwahlen oder wenigstens einen Zweidrittel-Mehrheitsbeschluß der Knesset fordern.

Den Likud plagen derzeit noch organisatorisches Chaos und eine schwere Schuldenlast aus der Zeit der kostspieligen Wahlkampagne. Erst im Winter will sich der Likud neu konstituieren und seine neue Führung wählen.

Auch andere, rechtsextremere Gruppen sind kaum auf ihre Rolle in der Opposition vorbereitet. „Gusch Emunim“, die breite Lobby der Siedler und ihres politischen „Hinterlands“, tauscht die alte Führung aus, um wieder aktionsfähig zu werden. „Tehya“, eine der lautstärksten Fraktionen in Schamirs ehemaliger Regierungskoalition, hat bei den Knessetwahlen alle Sitze verloren. Der Schreck darüber legt sie noch lahm.

Andererseits gelang es der ursprünglich kleinen „Tzomet“-Liste des ehemaligen Stabschefs Rafael Eitan, der ebenfalls zur Schamir- Regierung gehörte, mit gegenwärtig acht Knessetmitgliedern wesentlich an Einfluß zu gewinnen. Bisher hat sie eine Regierungsbeteiligung abgelehnt. Sie weiß jedoch, daß ihr diese Möglichkeit weiter offen steht, und verhält sich in der Opposition entsprechend vorsichtig.

Die Golan-Siedlungen — insgesamt 32 mit nur 12.000 EinwohnerInnen — setzen sich zum Teil aus Kibbuzim zusammen, die Organisationen und Parteien angehören, auf die sich auch die Rabin-Regierung stützt. Dieses Dilemma löste die Dachorganisation der Kibbuzbewegung, indem sie sich sowohl mit Rabins Politik gegenüber Syrien als auch mit den Golan-Siedlungen solidarisch erklärte...

Rabins Bürochef im Ministerpräsidium gehörte zu den Führern der Golan-Siedler. Er rät ihnen: „Verlaßt euch auf Rabin und hofft aufs Beste — es wird schon alles in Ordnung gehen...“

Andere Golan-Siedler beteiligen sich zwar noch an Protesten gegen Verhandlungen mit Syrien, die einen partiellen Rückzug Israels aus dem Golan voraussetzen. Aber sie rechnen sich bereits aus, wieviel Schadenersatz sie bekommen könnten, falls sie ihre Häuser und ihren Besitz im Golan aufgeben müßten.

Verschiedene einflußreiche Rabbiner kommen nun der Regierung zur Hilfe, indem sie darauf hinweisen, daß nach der Heiligen Schrift der Golan genaugenommen nicht zum verheißenen Land zählt. Vom national-religiösen Standpunkt sei der Rückzug demnach nicht absolut verboten. „Judea und Samaria“ im besetzten Westufer oder den Gaza-Streifen dagegen dürfe Israel um keinen Preis aufgeben, denn dabei handele es sich um das Heilige Land, in dem Milch und Honig fließen.

Auch die konkrete Aussicht auf einen wirklichen und dauerhaften Frieden mit Syrien, dem einzigen noch als militärisch gefährlich geltenden Feind Israels, bestärkt bei vielen Israelis jetzt das Gefühl, daß „territoriale Konzessionen im Golan“ kein zu hoher Preis für eine sichere Zukunft wären.

Palästinensische Gefangene im Hungerstreik

In einer Reihe israelischer Haftanstalten und Gefangenenlagern streiken seit Sonntag Tausende palästinensische Gefangene. Gleichzeitig findet täglich ein Solidaritäts-Sitzstreik mehrerer hundert ihrer Angehörigen vor und in den Büros der Institutionen des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds in den Städten der besetzten Gebiete statt. Die Streikenden verlangen bessere Haftbedingungen. Sie wollen ihren Hungerstreik nur beenden, wenn ihre 28 Punkte umfassenden Forderungen erfüllt sind. Die israelischen Behörden behaupten, daß sich derzeit weniger als 5.000 palästinensische Internierte in israelischer Sicherheitshaft befinden, nachdem in der letzten Zeit 650 Gefangene zu ihren Familien zurückkehren durften. Nach palästinensischen Angaben streiken jedoch nahezu 13.000 Gefangene. Das sind mehr als sich je an einem Hungerstreik in israelischen Gefängnissen beteiligt haben. Amos Wollin, Tel Aviv

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