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Drehtüreffekt zwischen Drogenszene und Knast

■ Offener Brief der MitarbeiterInnen der Fachdienste in der JVA Dieburg

Die in der JVA Dieburg Beschäftigten der Fachdienste (Sozialdienst, Psychologischer Fachdienst, Pädagogischer Fachdienst) stellen nach langer Auseinandersetzung mit den Problemen des steigenden Anteils Drogenabhängiger im Strafvollzug fest, daß die bisherige Drogenpolitik gescheitert ist und dringend neue Wege beschritten werden müssen, um zu einer Änderung zu kommen.

Die vergangenen zwanzig Jahre des Vorrangs der Abstinenztherapie hat im Ergebnis dazu geführt, daß die Zahl der Drogenabhängigen weiter steigt, die Therapieeinrichtungen eine extrem niedrige Erfolgsquote aufweisen, die Verelendung in der Drogenszene weiter zunimmt und sich die Justizvollzugsanstalten zunehmend mit Drogenabhängigen füllen. In Vollzugsanstalten niedriger Sicherheitsstufe sitzen heute bereits mehr Drogenkonsumenten ein als wegen klassischer Eigentumsdelikten (wie Diebstahl) Verurteilte. Rechnet man hinzu, daß sich hinter vielen Verurteilungen wegen eigentumsdelikten Beschaffungskriminalität von Drogengebrauchern verbirgt, dann gibt es bereits jetzt Anstalten, in denen mehrheitlich Drogenkonsumenten „zwischengeparkt“ werden.

Die Fachdienste der Vollzugsanstalten stehen dieser Entwicklung häufig fast hilflos gegenüber. Die Durchführung von Therapien ist unter Vollzugsbedingungen nicht möglich; soziale, pädagogische und psychologische Hilfsangebote laufen auch auf Grund der speziellen, einer Negativauslese unterliegenden, Klientel häufig ins Leere. Die Ursachen der Drogenkriminalität können über den Vollzug von Freiheitsstrafen nicht angegangen werden. Die in manchen Fällen alternativ zur Haft angebotenen Abstinenztherapien greifen gerade bei langjährig Drogenabhängigen aufgrund selbsteingeschätzter Aussichtslosigkeit nicht.

Insbesondere die steigende Wohnungsnot macht die Versuche der Reintegration von Strafgefangenen und insbesondere Drogengebrauchern immer häufiger zunichte. Es bildet sich nach unserer Einschätzung zunehmend ein Milieu mit völlig verelendeten Personen heraus, das Assoziationen mit Slums in der New-Yorker Bronx aufdrängt.

Auch im Vollzug setzt sich diese subkulturelle Situation fort: Drogengebrauch gibt es auch in den Vollzugsanstalten, da keine Anstalt auch bei größeren Anstrengungen frei von Drogen zu halten ist, gleichgültig in welchem Bundesland und unter welcher „Vollzugsphilosophie“.

Die in den Fachdiensten der JVA Dieburg arbeitenden Sozialarbeiter, Pädagogen und Psychologen appellieren dringend für eine Änderung der bisherigen Drogenpolitik, die nach ihrer Auffassung zu einer weiteren iund dramatischen Verschärfung des Drogenproblems beitragen wird, wenn sie unverändert fortbesteht. Sie fordern, vom bisherigen Primat der Abstinenztherapie abzukommen und der Einsicht zu folgen, daß es in der Drogenpolitik keinen Königsweg gibt. Statt dessen sollte eine breite Palette von Möglichkeiten genutzt werden: von der Abstinenztherapie ambulanter oder stationärer Art über Suchtbegleitung und Substituierung (auch im Vollzug) bis hin zur Freigabe bisher illegaler Drogen wie Heroin und ihre ärztliche Verabreichung. Insbesondere die erforderlichen Rahmenbedingungen wie Bereitstellung ausreichenden Wohnraums und der erforderlichen psychosozialen Beratung ist dabei zu gewährleisten. Ein weiteres Zulassen des Drehtüreffektes zwischen Drogenszene, Haft, Therapie und wieder Drogenszene würde für den Bereich des Justizvollzugs bedeuten, daß die Möglichkeiten der fachlichen Arbeit von Sozialarbeitern, Pädagogen und Psychologen weiterhin weitgehend nur noch zur Verwaltung des Drogenproblems eingesetzt werden können.

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