: Noch ist es ruhig im Süden Teherans
Irans Hauptstadt zwischen Liberalisierung und Wirtschaftskrise/ Kluft zwischen dem wohlhabenden Nordteil der Stadt und den Armutsvierteln wächst/ Grundnahrungsmittel noch subventioniert ■ Aus Teheran Klaus Kurzweil
Auf der Mauer der verlassenen US-Botschaft in Teheran sitzt eine schwarze Krähe. Sie scheint sich als einziges Wesen für das Gebäude im Teheraner Norden zu interessieren. Die Menschen eilen achtlos an dem riesigen Areal vorbei, dessen zukünftiges Schicksal zu den großen Geheimnissen Teherans gehört. „Wir werden den USA eine vernichtende Niederlage bereiten!“, „Das Vetorecht der Supermächte ist schlimmer als das Gesetz des Dschungels!“ Auch die Khomeini-Pinselsprüche an den Mauern rufen keine Begeisterung mehr hervor, ebensowenig wie das von den iranischen Behörden angebrachte neue Türschild „U.S. Den Of Espionage“ (US- Spionagenest).
1979 war das Gebäude von angeblichen iranischen Studenten gestürmt worden. 52 Botschaftsangehörige blieben anschließend 444 Tage lang in Geiselhaft. Ein gescheiterter Befreiungsversuch kostete den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter das Amt: Er verlor die anschließenden Wahlen an Ronald Reagan. Aber diese Geschichte ist Vergangenheit. Auch der Laden an der Ecke, der antiamerikanisches „Informationsmaterial“ verkauft, bleibt unbeachtet. Mehr Interesse findet ein wenige hundert Meter weiter entferntes Buchgeschäft, das auch Ausländisches anbietet: In der Auslage steht ein antiquarisches Exemplar von „America's History-Lands — Landmarks Of Liberty“.
Für die meisten Iraner sind die USA, entgegen der staatlichen Propaganda, längst nicht mehr der „große Satan“, sondern das große Vorbild. Jugendliche, die in der Schule Englisch lernen, gewöhnen sich bei der Kommunikation mit Ausländern spätestens ab der hundertsten Vokabel einen breiten Nasalton an, den sie wohl für US- Slang halten. Das mit Abstand beliebteste Getränk heißt Coca-Cola, dessen Hersteller nebst dem Konkurrenten Pepsi eine Abfüllanlage in Teheran betreibt. Und der Straßenhändler im reichen Norden der Stadt, der T-Shirts mit englischsprachigen Aufdrucken anbietet, kann sich vor Kunden kaum retten. Zu Lebzeiten Khomeinis war das kragen-, knopf- und ärmellose Kleidungsstück noch als „konterrevolutionär“ verpönt.
Gegen den Run auf alles Westliche im allgemeinen und alles US- amerikanische im besonderen nützen auch die Beteuerungen von Präsident Hassan Ali Rafsandschani nichts, die iranische Bevölkerung stehe „geschlossen hinter der Islamischen Revolution und der Islamischen Republik“. Zwar starrt der greise Imam Khomeini immer noch von den Häuserwänden auf seine einstigen Anhänger herunter, umrahmt von Parolen wie: „Wir werden die Fahne, die du erhoben hast, niemals senken!“ Aber seitdem der stechende Blick nur noch gemalt ist, lassen sich die Iraner von ihm nicht mehr beeindrucken. „Neunzig Prozent der Menschen hier spielen nur noch die gläubigen Muslime“, meint ein aus den USA heimgekehrter Exilant. Das bestätigt sich zumindest in den Straßen im Norden der iranischen Hauptstadt. Aus den zahlreichen Schaufenstern blitzt und blinkt es. Von Louis-XV.-Möbeln bis zu modernster japanischer Unterhaltungselektronik ist alles zu haben. Die dazugehörigen Tonträger werden, da Popmusik offiziell immer noch verboten sind, massenweise ins Land geschmuggelt.
Mehr Banken als Moscheen zählt der Norden der Hauptstadt, es wird weniger gebetet als konsumiert. Neueste Mode für die Männer, sogar Pariser Designermäntel für die Frauen — einziger Tribut an die islamische Kleiderordnung ist, daß keine Spur von Taille angedeutet werden darf. Der Hidschab, das Haare und Hals bedeckende Kopftuch, rutscht mitunter weit nach hinten und die zum Vorschein kommenden Haare sind demonstrativ blondiert. Mit Schminke und Schmuck wird nicht gespart.
Genießen — solange es geht
Die berüchtigten schwarzgekleideten Revolutionswächterinnen sind weit und breit nicht zu sehen. Doch niemand weiß sicher, ob sie nicht schon morgen wieder auftauchen— bis dahin aber wird soviel Freiheit genossen wie möglich. Hinter vorgehaltener Hand herrscht Konsens: Zu Zeiten des Schahs war alles besser. Khomeinis Revolution heißt bloß „die Veränderung“.
Irgendwo in der Höhe des Imam-Khomeini-Platzes, dem Mittelpunkt der Stadt, wechselt das Bild. Eine unsichtbare Grenze zwischen Nord- und Süd-Teheran scheint hier zu verlaufen. Es ist nicht nur der Smog, der im tiefer gelegenen Süden besonders in den frühen Morgenstunden unerträglich ist. Hier sind die Häuser vergammelter, die Schaufenster einfacher. Während im Norden moderne italienische Linienbusse mit Sony- und AEG-Werbung an den Seiten verkehren, fahren im Süden klapprige britische Doppeldecker aus Schahzeiten, die als Werbeträger nicht taugen. Durchgehende Verkehrsverbindungen zwischen Nord und Süd gibt es kaum. Auch die Menschen sehen anders aus: Frauen hüllen sich in ihre schwarzen Umhänge, ziehen den Hidschab weit ins Gesicht und halten nicht selten einen Zipfel des Stoffs noch mit den Zähnen fest, um einen Teil des Gesichts zu verbergen. Hier, im Süden und in den armen Vorstädten anderer iranischer Ballungszentren, hatte Khomeini einst seine treuesten Anhänger. Aber mehr als dreizehn Jahre nach der Revolution sind diese Menschen immer noch arm, und nach den jüngsten Preissteigerungen erst recht. Innerhalb weniger Monate haben sich manche Nahrungsmittel um bis zu 500 Prozent verteuert, die Grundversorgung ist in Frage gestellt. Zwar hat auch hier das „Sandwich“ — ein mit warmem Fleisch, Spaghetti oder Lammhirn gefülltes Brötchen — das traditionelle Schillo-Kebab abgelöst. Aber viele lassen sich zu dieser einzigen warmen Mahlzeit des Tages die doppelte Menge Brot geben. Das macht satt, ohne den Preis wesentlich zu erhöhen.
Südlich der Teheraner Getreidespeicher, der Großweberei und der unlängst privatisierten iranischen Gütertransportunternehmen liegt der Bezirk Naziabad. Mitte Juni demonstrierten hier die Bewohner gegen die rapiden Preissteigerungen. Sie kehrten ihre Hosentaschen nach außen und hielten sich die Münder zu, als sie durch die Straßen marschierten: ein stummer Protest gegen die wachsende Armut und das Verbot, sich darüber zu beschweren. Während diese Proteste friedlich verliefen, kam es in den iranischen Großstädten Maschad, Arak und Schiraz zu blutigen Zusammenstößen mit Polizei und Militär. Der im Ausland als „Pragmatiker“ geltende Präsident Rafsandschani ließ die Proteste gegen seine Wirtschaftspolitik niederknüppeln.
Naziabad ist kein Elendsquartier, im Vergleich zu einigen zentraleren Vierteln wirkt es geradezu gepflegt. Der größte Teil von Naziabad besteht aus neuen zweistöckigen Wohnhäusern, dazwischen liegen Grünanlagen. Nur am Südrand steht ein gutes Dutzend langsam verfallender Mietskasernen, in deren Schatten staubbedeckte Kinder spielen. Die abgewrackten Gebäude könnten genauso im Ruhrgebiet oder im Osten Deutschlands stehen. In Naziabad leben nicht die Ärmsten der Armen, sondern die langsam verarmende Mittelschicht.
„Alles wird teurer, und die Leute kaufen immer weniger“, klagt ein Lebensmittelhändler. In der Mitte eines Platzes hat ein fliegender Händler seinen LKW abgestellt. „Pakistanischer Reis, das Kilo für nur 650 Rial“, steht auf einem Transparent an der Seite des Fahrzeuges. Aber obwohl der Preis von umgerechnet 70 Pfennig nur ein Drittel des normalen Preises beträgt, ist er den meisten Anwohnern noch immer zu hoch: Die Kundschaft bleibt aus.
Nur vor den staatlichen Bäckereien stehen lange Schlangen — der Brotpreis ist weiterhin staatlich subventioniert. Aber die Regierung plant, die Subventionen abzuschaffen. Der Iran ist im Ausland mit zehn Milliarden Dollar verschuldet; die Staatskasse kann soziale Leistungen wie subventionierte Lebensmittel immer weniger verkraften. Schon im vergangenen Jahr wurde daher der Preis für Hühner und Eier freigegeben. Der Kilopreis für Hühnerfleisch stieg damals an einem Tag von 150 Rial auf 1.900.
Am 17. Juli, kurz nach den Straßenprotesten, erklärte Rafsandschani im iranischen Radio, daß die Subventionen in weiten Teilen der Versorgung eingestellt werden müßten. Das System der staatlichen Bezuschussung sei ähnlich katastrophal wie in den zusammengebrochenen Ostblockstaaten. In der gleichen Rede forderte der Präsident zu Privantinvestitionen in den Bereichen Bildung, Hotelgewerbe und Wohnungsbau auf. Für die immer weiter verarmenden Menschen von Naziabad mußte die Aufforderung zu Investitionen wie Hohn klingen.
Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit erhielten Rafsandschanis Vorhaben zunächst einen Dämpfer. Handelsminister Abdulhossein Wahhazi erklärte, die vor zehn Jahren eingeführten Rationierungsbücher würden bis zum 22. September abgeschafft, die Subventionierung wichtiger Grundnahrungsmittel sei davon aber nicht betroffen. Für sie würde es auch in Zukunft Coupons geben. Ob dieses Versprechen eingehalten wird? Davon hängt es ab, ob der Süden Teherans in den kommenden Monaten ruhig bleibt.
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