: „Politiker suchen Sündenböcke“
■ Deutsche Psychologen kritisieren „erpresserisches Polit-Kalkül“ in der gegenwärtigen Asyldebatte
Bonn (taz) — Von einem „erpresserischen Polit-Kalkül“ sieht der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) die gegenwärtige Asyldebatte geprägt. Politiker verfolgten bewußt eine Sündenbockstrategie, mit der sie Asylsuchende und Ausländer als Minderheiten funktionalisierten.
Anstatt sich den kulturellen und gesellschaftlichen Hintergründen der grassierenden Bereitschaft zur Gewalt zu stellen, erklärten Politiker das Objekt dieser Gewalt selbst zum Problem. Dies sei eine „massenpsychologische Milchmädchenrechnung“, sagte der Vorsitzende der Sektion Politische Psychologie im BDP, Helmut Moser, in Bonn.
Bei der Diskussion um das Asylrecht stellen die Psychologen eine zunehmende Hysterie fest. Politiker nähmen dadurch noch zusätzlich schwerwiegende langfristige Folgen im Bewußtsein der Bevölkerung in Kauf. „Die Glaubwürdigkeit unseres Systems wird unterminiert“, so Helmut Moser.
Die Psychologen forderten die Politiker auf, ihre Debatte umgehend zu versachlichen. Dies bedeute zuerst, vom Freund-Feind- Denken wegzukommen. Jede Kriminalisierung und Stigmatisierung von gesellschaftlichen, kulturellen oder ethnischen Minderheiten müsse vermieden werden.
Als Sofortmaßnahme müßte der „unerträgliche Stau“ von fast 400.000 unentschiedenen Asylanträgen aufgearbeitet werden. Dazu schlug der Berufsverband vor, Liegenschaften wie Kasernen für die Zentralen Aufnahmestellen der Länder freizumachen.
Hysterie in der politischen Debatte und das Wiedererstarken von rechtsradikalen Parteien seien erste Anzeichen für einen tiefgreifenden kulturellen Wandel, der bisher geltende Verfassungsnormen und Werte radikal in Frage stellt.
„Das demokratische System droht ins Rutschen zu kommen“, warnte Helmut Moser vom BDP. Myriam Schönecker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen