Totalverweigerung: Gewissenstat oder Desertion?

Weil ein junger Mann kurz vor dem Golfkrieg seinen Zivildienst abbrach, steht er vor Gericht /  ■ Inhaltliches nicht erwünscht

1å „Herr Richter, ich frage Sie, wie können Sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren, gegen mich zu verhandeln?“ Etwas zerknirscht ließ Amtsrichter Klamt am Freitag die Verhandlung gegen den Totalverweigerer Christian Heil über sich ergehen. Eigentlich wollte er lieber in einen gemütlicheren Raum, aber der Angeklagte hatte sich Platz für die Zuschauer erbeten.

Der Reihe nach: Als einer von Fünfen brach Christian Heil 1991, wenige Tage vor Beginn des Golf- Krieges, seinen Zivildienst in einem Altenheim ab. Ihm sei zur Zeit seiner Kriegsdienstverweigerung nicht klar gewesen, daß auch Ersatzdienstleistende im Ernstfall in den Krieg müssen, begründete der damals 21-Jährige diesen Schritt. Seine Mitstreiter wurden bis auf einen schon in erster Instanz verurteilt - teils zu Geldstrafen, teils zu mehrmonatigen Bewährungsstrafen.

Das Problem bei Totalverweigerern: Sie können immer wieder neu verurteilt werden, wenn sie nach Absitzen einer Strafe ihren Dienst nicht antreten. Es sei denn, der Richter bescheinigt dem Angeklagten, daß die Desertion eine Gewissenstat war. Im Fall von Christian Heil sollte nun der Uni-Professor Jochen Eckert ein Gutachten erstellen. Christian war vorm Zivildienst nach Hamburg gezogen, hatte Eltern und Heimatstadt verlassen. In dieser Situation, so der Psychologe, sei ein Prozeß der Identitätsfindung und der Gewissensentwicklung zusammengekommen. Der Angeklagte hätte wenig Spielraum gehabt, anders zu handeln.

Die Hamburger „Desertöre“ - ein Zusammenschluß von Totalverweigerern - wollen aber nicht nur als Opfer staatlicher Repression bemitleidet werden, sie wollen mit ihren politischen Inhalten ernstgenommen werden. Genau hier lag am Freitag das Problem. „Hätten wir die heutigen politischen Voraussetzungen schon beim Golfkrieg gehabt, wäre die BRD militärisch dabei gewesen“, beendete der Angeklagte die ausführliche politische Begründung für seine „Tat“. Vor diesem Hintergrund könne er nicht verstehen, warum der Rechtfertigungsdruck auf seiner Seite wäre.

Über Inhalte wollte der Gutachter sich aber nicht äußern, ebensowenig der Richter. Ein Beweisantrag zur Frage, ob die Bundeswehr einen Krieg vorbereite, wurde abgelehnt. O-Ton: „Sie können das ja später rügen.“ Auch Staatsanwalt Krafft wollte nicht inhaltlich werden. In seinem Plädoyer forderte er eine Geldbuße von 300 Mark, da dem Angeklagten eine „verminderte Steuerungsfähigkeit“ zugute zu halten sei. Das verlangte Strafmaß mag milde erscheinen. Doch ein solches Urteil würde Christian vor einer neuen Strafe nach einer neuen Einberufung nicht schützen. Verteidigerin Gabriele Heinecke plädierte denn auch auf Freispruch. Die Tat ihres Mandanten sei eine Gewissenstat, dessen Freiheit qua Grundgesetz geschützt sei.

Am Ende entspann sich ein seltsamer Dialog. Richter Klamt forderte Bedenkzeit, will das Urteil erst am heutigen Montag verkünden. Darauf der Angeklagte: „Ich werde nicht erscheinen“. Da half kein Bitten und kein Betteln: „Ich hab mir jetzt soviel Streß gemacht, da hab ich keinen Bock mehr.“ kaj