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Das Tagwerk des Untergehens

■ Aus Troja heim ins Reich: Die „Helena“ des Euripides, als deutsche Helene am Schauspielhaus inszeniert von Hansgünther Heyme

Wirklich, Heyme hat den gewissen Willen zur Ära. Wann hätte ehedem das Bremer Theater uns schon mal in so viel Arbeit gestürzt! Nicht mal unfreiwillig! Und jetzt die neue „Helena“: ein altes Lied, möcht man meinen, aber am Samstag im Schauspielhaus begann es mächtig zu dröhnen in unsern Ohren; kein Wunder, da Heyme es quasi in vier Fassungen zugleich spielen ließ: als durchkomponierte theatralische Fuge zu vier Stimmen. Thema: nicht weniger als die Schönheit des Krieges, aktueller Stand.

Schon erschöpft? Dann darf ich vielleicht ein bißchen ausholen: Die erste Stimme kennen wir alle aus Gustav Schwabs „Heldensagen“: Helena, die Ultraschöne, die den Trojanischen Krieg, nachdem er schon mal um sie entbrannt war, mit einer gewissen Gloriole erleuchtete. Die zweite Stimme hat der Autor Euripides dazukomponiert: Bei ihm ist Helena schon zu schön, um wahr zu sein; der Krieg geht bloß um ein „beseeltes Luftgebild“ der Götter, ein „Idol“, dieweil das Original nach Ägypten ausquartiert ward. Dort lebt sie siebzehn Jahre lang bei lebendigem Leib unerkannt und beraubt aller Anbetung, bis endlich der demobiliserte Menelaos strandet und die Flucht gewagt werden kann, bloß wohin.

In Christoph Martin Wielands Übertragung von 1805 schiffen die beiden, verstört und von all den erlebten Greueln seltsam

Menelaos (Hans Schulze) und Helena (Margit Carstensen), wie sie sich wieder miteinander abfindenFoto: Jörg Landsberg

ungeadelt, vor allem auf den Hafen des bürgerlichen Ehelebens zu. Dies Heimholungswerk in die Gesellschaft bürgerlichen Rechts erklingt verstohlen pia

hierhin bitte

das Foto von

dem Paar, das sich

umklammert hält

nissime in der dritten Stimme.

Die vierte, die schrillste, hat Heyme aus den andern dreien nach dem neuesten Sachstand herauskomponiert: Da sehen

wir Margit Carstensen als unsre komische Tante Helene, wie sie die Haare rauft und die Arme ringt um die Mannsleut, die in der Ferne ihrer Fiktion zuliebe

krepieren; und sehen sie also, die Jammernde, aufs Genüßlichste schmarotzen an dem Bild, das sich die Kriegsparteien von ihr genommen haben. Bloß wird ihr ganz leibhaftiges Männeken Menelaos unweigerlich an den Strand geworfen, und bald darauf verdunstet auch noch das beseelte Luftgebild, ihr Double, gen Himmel; das ist Helenens schwerster Augenblick: Jetzt fangen die Werktage an.

Nebenbei sehen wir, bis in die Nebenrollen, überaus kunstvolles Sprechtheater: jeder Satz handpoliert, jedes Wort kennt seine Stelle — und seine zersetzende Kraft: Im Falle dieser, wie man sagt, noch immer schönen Helena setzt Margit Carstensen aus den erlesensten Ausdrucksreichtümern nach und nach eine außerordentlich tote Frau zusammen: Helena, die Umkämpfte, ausgezehrt nunmehr von siebzehn Jahren ägyptischen Friedens. Was da noch schillert, sind Scherben, was noch klingelt, ist Eis.

Neben ihr das bißchen Menelaos, köstlich gebläht von Hans Schulze, wird auch keinen Helden mehr abgeben; was soll man tun? Das ganze Stück ist ein Strampeln mit Worten; und als solches im Schauspielhaus von einer geradezu choreographischen Eleganz. Bis hin zum singenden, ja oftmals fast rappenden Frauenchor, der vom Schubiduh des guten alten ersten Aktes, wo noch Krieg war, nunmehr zu einem Kommentator der Endzeit heranreifen muß. Vom großen Applaus nach der Premiere kriegte der Chor den herzlichsten Anteil ab.

Schon lange hat sich unser Theater nicht mehr derart der Sprache hingegeben; das macht einem glatt die Ohren übergehen. Die Augen aber nicht so sehr. Das Bühnenbild, einen Ballettspiegelsaal mit irgendwelchen ägyptischen Sarkophagen (Ausstattung: Wolf Münzner), hätte man sich jedenfalls schon mal sparen können, weiße Tücher hätten's genauso getan. Und, wo wir gerade dabei sind: Deutsche Reisepässe und gereckte Heilhitlerarme und andere Zeitzeichen lenken noch viel mehr ab; Theater ist ja nichts, wonach man die Uhr stellt.

Sondern, zum Beispiel in diesem Fall, ein nicht ganz unbeklemmende Gelegenheit, den Zerfall schwerwiegender Gestalten zu studieren. Nix mehr mit Anhimmeln, Mitbibbern, Bangen, Begeifern...Studieren! Ein geradezu anti-erotisches Verhältnis, in welches uns Heyme verwickelt, aber mithilfe perfekten Kalküls.

Seltsamerweise nämlich ist die kaputte Nachkriegs-Helena in der historisch tiefsten Stimme, dem alten Mythos, schon enthalten: Die ihrem Äußeren entfremdete Frau ist nachher für alles zu haben. Heyme denkt nur scharf zu Ende, und siehe, es wird wie von selber wahr: Will denn diese Helena mit ihrem bißchen Menelaos überhaupt noch fliehen? Will denn der Ägypterkönig, dem die beiden ihre Fluchtgedanken so donnernd schlecht verhehlen, sie um alles in der Welt nicht halten, sondern bis zuletzt das gütliche Appeasement wahren?

Wahrhaftig, die beiden müssen davon und richten zu diesem Zweck, wie man am Ende hört, ein Blutbad unter den Ägyptern an. Es ist eine Flucht in den Mord geworden, nicht heim ins griechische Reich. Zuhause, das wäre ja erst die Hölle. Manfred Dworschak

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