: Politiker tanzen nach VEW-Pfeife
SPD-Politiker in Dortmund verspielen ökologische und ökonomische Chancen bei der Rekommunalisierung der Stromversorgung ■ Aus Dortmund Walter Jakobs
Wolfgang Weber, Vorstandsmitglied der Dortmunder Stadtwerke, ist sich ganz sicher: „Für die Stadt wäre die Übernahme des Stromnetzes die beste Lösung.“ Mit dieser Einschätzung steht der Stadtwerke-Manager nicht allein. Nähme die Stadt Dortmund nach dreißigjähriger vertraglicher Bindung an die Vereinigten Elektrizitätswerke (VEW) jetzt die Chance wahr, künftig die Stromversorgung in der Kommune selbst zu regeln, dann profitierte davon nicht nur der Stadtsäckel, sondern auch die Umwelt. Diverse Gutachten belegen diese Perspektive. Aber die „beste Lösung“ wird es nicht geben. Das Stromleitungsnetz von VEW zu übernehmen, will die SPD-Mehrheit im Dortmunder Rat den Stadtwerken nicht gestatten. Statt dessen soll eine von den Stadtwerken und den VEW neu zu gründende Holding künftig für die Verteilung von Strom, Wasser und Gas sorgen. Warum nicht die Stadtwerke allein? „Ich kann es nicht nachvollziehen“, sagt Wolfgang Weber, „aber ich bin ja nur ein kleiner Ökonom. Die anderen sind Politiker.“
Dem Kampf um die Dortmunder Stromversorgung kommt eine bundesweite Signalwirkung zu. Für die westdeutschen Stromkonzerne geht es um viel. Mit abenteuerlich langen Laufzeiten zwischen 30 und 50 Jahren haben sie sich in der Vergangenheit in zahlreichen Kommunen ihr Stromverteilungsmonopol gesichert. Jetzt laufen viele der Konzessionsverträge aus— allein bei den VEW rund siebzig. Nach einer Schätzung des Verbandes Kommunaler Unternehmen wollen rund 230 Städte und Gemeinden aus dem Konzessionsgeschäft aussteigen und künftig Strom — sowohl den selbst produzierten als auch den zugekauften — in eigener Regie verteilen. Der Bundesgerichtshof hat diesen Kommunen erst jüngt in einem von der Stadt Rosenheim angestrengten Prozeß den Rücken gestärkt. Die Karlsruher Richter entschieden, daß die Stromproduzenten verpflichtet sind, ihre Leitungsnetze den kaufentschlossenen Städten gegen einen angemessenen Preis zu überlassen.
Ursprünglich sollte dieser Weg auch in Dortmund beschritten werden. In einem von der Stadt in Auftrag gegebenen Gutachten hat die Düsseldorfer Wirtschaftsberatungs AG (WIBERA) einen Kaufpreis von 746 Millionen DM ermittelt. Die VEW bezifferten den Wert des Netzes dagegen auf 1,018 Millarden DM — soviel koste der Neubau des Dortmunder Netzes.
Inzwischen ist die Dortmunder SPD, die sich zunächst entschlossen zeigte, die Rekommunalisierung der Stromversorgung durchzusetzen, auf breiter Linie eingeknickt. Vor ein paar Tagen stimmte der SPD-Unterbezirksvorstand einem sogenannten Holding-Modell zu, das den alten Konzessionsvertrag zwar aufhebt, den Interessen der VEW aber weit entgegenkommt. Der Dortmunder Rat soll das Modell am 8. Oktober verabschieden. Danach werden die Stadtwerke künftig in eine aus zwei Unternehmensbereichen bestehende Holding umgewandelt. Die hochdefizitäre Unternehmenssparte Verkehr — Jahresverlust 1991: 122 Millionen Mark — bliebe weiterhin zu 100 Prozent im Besitz der Stadt. In dem profitablen Bereich Versorgung, der künftig für die Lieferung von Strom, Wasser und Gas zuständig sein soll, zöge dagegen VEW als Mitgesellschafter ein. Noch wird um das Beteiligungsverhältnis gepokert. Die VEW wollen für ihr Leitungsnetz einen 48prozentigen Anteil. Der SPD sind 52 Prozent für die Stadtwerke zuwenig. Bliebe es bei dieser Größenordnung, lägen, so Wolfgang Weber, „alle Vorteile bei den VEW“. Der Stromriese verlöre zwar die Hälfte des Ertrages aus dem Stromverteilungsgeschäft, doch dieser Verlust würde durch die Teilhabe am lukrativen Gas- und Wasserverkauf mehr als ausgeglichen. Ein „realistisches Beteiligungsverhältnis“ ortet Weber bei 33 bis 35 Prozent.
Glaubt man dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Horst Zeidler, dann erlaubt nur die Holding „eine möglichst schiedlich-friedliche“ Lösung. Ein Kauf des Netzes hätte zudem, so Zeidler, „ganz sicher“ einen Rechtsstreit über den Kaufpreis nach sich gezogen — mit „einer gewissen Unsicherheit“ über den Ausgang. Das sieht Wolfgang Weber indes ganz anders. „Ich bin mir sehr sicher, daß wir mit unserem Kaufpreis vor Gericht durchkommen würden.“ Dabei beruft er sich auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt, das im Fall der hessischen Kleinstadt Witzenhausen, „einem absoluten Parallelfall“ (Weber), entschieden hatte, daß für den Kauf des Leitungsnetzes nicht der Neupreis zu zahlen sei. Für den Dortmunder Kämmerer brächte die Netzübernahme — das sagen alle Gutachten — über die bisherige jährliche Konzessionsabgabe von 54 Millionen Mark hinaus weitere zweistellige Millionenbeträge in die Kasse.
Zu dem finanziellen Verlust für die Stadt gesellt sich der ökologische Schaden. Die Dortmunder Stadtwerke, die schon jetzt eine Windkraftanlage und drei Blockheizkraftwerke betreiben, wollen verstärkt Abwärmenutzung realisieren und besonders die ökologisch unsinnigen Stromheizungen— 35.000 Wohnungen werden mit VEW-Strom beheizt — zurückdrängen. Insgesamt, so hat ein vom Dortmunder Energiewende- Komitee in Auftrag gegebenes Gutachten der „Gesellschaft für kommunale Energieberatung“ ergeben, ließe sich mit dem Stadtwerke-Konzept die Kohlendioxidmenge in Dortmund bis zum Jahr 2010 um 38 Prozent verringern. Bei den Vorgaben der VEW, die mit ihren Verbundkraftwerken über Stromüberkapazitäten verfügt und an massiver Stromeinsparung kein Interesse hat, fiele die Reduktion mit 10 Prozent wesentlich dürftiger aus. In der Holding, so befürchtet Kurt Berlo vom Energiewende- Komitee, „setzt sich die VEW mit ihren Vorstellungen aber bestimmt durch“.
Personelle Verflechtungen legen diese Befürchtung nahe. Dortmunds Oberbürgermeister Günter Samtlebe steht zugleich dem VEW-Aufsichtsrat vor, und SPD- Ratsherr Gerhard Kompe, designierter Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke, verdient sein Geld als Geschäftsführer einer VEW- Tochtergesellschaft. SPD-Fraktionschef Zeidler schwärmt von der Erfahrung der VEW und von „dem Engagement des Unternehmens in der Stadt“. Was mit „Engagement“ gemeint sein könnte, geht aus einem Brief hervor, den der VEW-Vorstand am 7. September an den Dortmunder Oberstadtdirektor schickte: Für den Fall, daß es zu einer „einvernehmlichen Lösung“ kommen werde, würde das Unternehmen „der Stadt bei der Lösung ihrer Probleme im Bereich Stadt- und Landesbibliothek — Museen“ unterstützen. Ein Betriebskindergarten wird ebenso versprochen wie die Beteiligung an einem ökologischen Bildungszentrum und die Hilfe bei der „Erschließung und Bereitstellung von Flächen...“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen