: Gefühlversuche auf der Guckkastenbühne
Premiere in den Kammerspielen/Intendant Barbarino inszeniert Dorsts ■ Fernando Krapp hat mir einen Brief geschrieben
Fernando Krapp kennt keine Eifersucht. Er ist ein Macho von unerbittlicher männlicher Dominanz. Er läßt sich hofieren, er bekommt und macht, was er will. Mit einem Brief leiert Fernando Krapp die eiskalte Eroberung der schönen Julia an, und der gibt dem neuen Stück von Tankred Dorst den Titel: Fernando Krapp hat mir einen Brief geschrieben erlebte am Sonntag seine Hamburger Erstaufführung als zweite Premiere der Ära Barbarino in den Kammerspielen.
Die Bühne ist ein zum Quader reduzierter Guckkasten, ein Haufen Blumen liegt in der Ecke, zwei Stühle stehen herum, und ins Himmelblaue geht der Bühnenhintergrund, auf dem sich die Kontur einer Wolke abzeichnet. Kühle vermittelt das Bild, in dem sich aus der Konstellation von vier Menschen - Fernando Krapp, Julia, Julias Vater und der dichtende Graf Juan - eine Versuchsanordnung entwickelt: Theater als Gefühlslaboratorium. In seinem ersten Brief verspricht er Julia: „Ich werde sie heiraten“. So geschieht's, wie alles nach Fernando Krapps Vorstellungen geschieht. Julia ist entsetzt. Ihr Vater gesteht, sie bereits an Herrn Krapp verschachert zu haben. Doch ihr Trotz hält nicht lange vor. Sie verliebt sich in Krapp, nachdem sie ihn geheiratet hat.
Die ranke Justina del Corte umgarnt als Julia den kalten, unterstetzten Gatten, fügt sich und will schließlich nur mal die schlichte Phrase aus seinem Munde hören, die da lautet „Ich liebe dich“. Aber es hilft nichts. Wenn Matthias Scheuring sie als standhafter Frauenfresser Krapp „Schätzchen“ heißt, klingt das nach Kasernenhof. Sagt er, die Hände in den Hosentaschen vergraben und den Bauch als Zeichen seiner Männlichkeit präsentierend, gar „Liebling, Herzchen, Süße“ zu ihr, dann nur um ihr zu erklären, daß solcherlei abgeschmackte Begriffe nur in Romanen vorkommen. Julia versucht noch, ihn mit dem ältlichen Grafen eifersüchtig zu machen - vergeblich. Die Episode gibt Krapp nur Gelegenheit, den Grafen vor Scham winseln zu lassen und Julia mal kurz in die Heilanstalt zu stecken. Aus der wird sie als geheilt und anspruchslos entlassen und schon bald liegt sie auf dem Totenbettchen. Das reißt den stolzen Fernando doch noch in die Verzweiflung. Allein - es ist zu spät.
Dorsts Fernando... entwickelt sich seit seiner Wiener Uraufführung im April zu einem Hit auf deutschen Bühnen. Gerade noch rechtzeitig hat Kammerspiele-Intendant und Regisseur Stephan Barbarino zugegriffen, bevor das Drama den Hauch der Neuheit verliert. Die einfache Anordnung, das schlichte dramatische Gerüst ist bestechend. Eine tausendmal erzählte Geschichte ist auf ihre Gräten reduziert, was auch Barbarino in seiner Inszenierung beherzigte. So kehren sich die Schauspieler von der Rolle ab, um die für den Fortgang der Geschichte erheblichen Ereignisse mittels klassischem Brechtschen V-Effekt mitzuteilen. Spannung erzeugt das Beharren der drei Akteure in Bewegungslosigkeiten, keine Geste ist zuviel, wenngleich sich Julia in ihrer Verzweiflung doch manchmal in musterhafte Gebärden flüchtet. Das Bühnenbild gibt ebensowenig wie die Kostüme Anhaltspunkte auf eine konkrete Zeit. Das hat Fernando... als zeit-
lose Farce über die Kälte, die Liebe
1und den Hunger nach Anlehnung auch nicht nötig. Am Ende regnet es warmen Applaus für ein findiges Stück. „Versuch über die Wahr-
heit“ hatte Dorst als Untertitel ge-
1wählt, in Barbarinos sparsamer Inszenierung bleibt dem Publikum genug Platz, selbst danach zu suchen. jk
Kammerspiele, 17. bis 18.10.
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