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Militärische Intervention „überfällig“

■ Bosnien fühlt sich von Genfer Konferenz und UNO verraten

„Die Genfer Verhandlungen sind bisher lediglich ein Vertuschungsmanöver für immer neue Aggressionen der Serben. Die internationale Gemeinschaft hat sich de facto zum Komplizen des Agressors gemacht und läßt uns zum Opfer einer überlegenen militärischen Macht werden, die die Menschenrechte auf schlimmste Weise mißachtet.“ Dieses verbitterte Fazit nach einem Monat „Internationaler Konferenz über das frühere Jugoslawien“ zog gestern nachmittag in Genf Bosniens Außenminister Haris Silajdzic. Die Staaten, die Ende August die Londoner Vereinbarungen formuliert und unterschrieben hätten, täten nichts für ihre Durchsetzung. Dieser Vorwurf Silajdzics richtete sich vor allem gegen die zwölf EG-Länder.

Vor seiner Pressekonferenz hatte der Außenminister den beiden Konferenzpräsidenten Lord Owen und Cyrus Vance erklärt, eine militärische Intervention der internationalen Gemeinschaft gemäß der UN-Charta sei überfällig. Die Argumente vor allem westlicher Regierungen und Militärs, wonach eine derartige Intervention die Kriegsführung der Serben nicht stoppen könne, nannte der Außenminister eine „faule Entschuldigung“. „Irak, eine sehr viel stärkere Macht“, sei „auch gestoppt worden“. Der „wahre Grund“ für die Zurückhaltung: „Bosnien ist nicht reich und nicht gefährlich.“

Wenn die Staatengemeinschaft schon nicht zu einer Intervention bereit sei, solle sie „wenigstens das Waffenembargo gegen Bosnien- Herzegowina aufheben und uns die nötigen militärischen Mittel zur Verteidigung gegen die serbische Aggression zur Verfügung stellen“, forderte Silajdzic. Vance und Owen nahmen keine konkrete Stellung zu den Forderungen. Sie vertrösteten den Außenminister lediglich mit dem Hinweis auf Verhandlungen über eine Deeskalation der Kämpfe, die gestern in Sarajavo zwischen Militärführern aller drei Seiten aufgenommen werden sollten.

Silajdzic machte deutlich, daß er darin ebensowenig Hoffnung setzt wie in die bisherigen Bemühungen um ein Verbot militärischer Flüge. Der bosnische Serbenführer Karadzic hatte am Dienstag abend in Genf „angeboten“, die knapp 50 bei Banja Luca stationierten Kampfflugzeuge der Serben nicht mehr einzusetzen, falls die Muslime und Kroaten zeitgleich ihre bodengestützten Waffen nicht mehr benutzen. Für Silajdzic ist dieser Vorschlag „irrelevant“, da bereits in London „alle Seiten die bedingungslose Einstellung militärischer Flüge“ zugesagt haben. Auch die meisten Beobachter der Genfer Konferenz sahen in Karadzics Vorschlag lediglich den Versuch, eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates über ein Flugverbot zu verhindern.

Einen Rückzug von der Genfer Konferenz schloß Silajzic nicht aus. Wenig erwartet er auch von der in der Nacht zum Mittwoch getroffenen Entscheidung des UNO- Sicherheitsrates, eine Expertenkommission zur Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen im Jugoslawienkrieg einzusetzen. Die Kommission soll eigene Untersuchungen anstellen sowie von anderen Personen oder Organisationen bisher und künftig vorgelegte Informationen sammeln und sichten. Ob und wann die Arbeit dieser Kommission zu einem förmlichen Verfahren vor einem internationalen Gericht und zu einer Bestrafung Schuldiger führen soll, ließ der Sicherheitsrat offen. Für den amtierenden Vorsitzenden des Sicherheitsrates, Frankreichs Botschafter Jean-Bertrand Merimee, ist zunächst einmal „sehr viel Zeit nötig, um Informationen zu sammeln“. Zu diesem Zweck wird am Montag der Sonderberichterstatter der UNO-Menschenrechtskommission, Tadeusz Mazowiecki, zu seiner zweiten Erkundungsreise in das ehemalige Jugoslawien aufbrechen. Er soll Zugang zu drei Internierungslagern erhalten (je ein serbisch, muslimisch und kroatisch verwaltetes) und die zerstörte Stadt Mostar sowie weitere Orte im Norden Bosnien-Herzegowinas besuchen. Andreas Zumach, Genf

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