: Pädagogische Vielfalt kostet Geld
■ Privatschulen fordern mehr Zuschüsse vom Staat/ Bislang werden nur Kosten für Lehrpersonal übernommen/ Gemeinsame Aktion von Katholiken und Anthroposophen/ 60 Privatschulen in Berlin
Berlin. Katholiken und Anthroposophen sind einander bekanntlich wenig grün. Doch können gemeinsame finanzielle Interessen die ideologischen Differenzen überbrücken: Als erste gemeinsame Aktion von katholischen und Waldorfschulen in Berlin ist für den nächsten Mittwoch um 19.30 eine Podiumsdiskussion zum Thema »Freie Schulen — Luxus oder demokratische Notwendigkeit« im Audimax der TU angekündigt. Eingeladen sind neben den bildungspolitischen Sprechern der Parteien der Berliner Landesschulrat Pokall sowie Vertreter der katholischen und der Waldorfschulen. Auch die islamische und die jüdische Grundschule werden vertreten sein. »Früher hat jede Gruppe für sich gekämpft, jetzt arbeiten wir zusammen«, freut sich Johann Peter Vogel, seit zwei Jahren Mitglied des »Arbeitskreises für Schulpolitik und Öffentlichkeitsarbeit« der Waldorfschulen. In dem Gremium arbeiten seit einem halben Jahr auch Vertreter des Bistums Berlin mit.
Aus Einzelkämpfern wurden Streitgenossen
Johann Schweier, Schulrat im Kirchendienst im bischöflichen Ordinariat, beschreibt sich begeistert als Anhänger einer »bunten pädagogischen Vielfalt« und betont: »Wir sind keine Einzelkämpfer.« Die evangelische Kirche wurde zwar eingeladen, zeigte jedoch kein großes Interesse an der Zusammenarbeit — sei es, weil sich niemand zuständig fühlte, sei es wegen der in Berlin besonders starken Animosität zwischen Protestanten und Anthroposophen.
Die 24 katholischen und die sieben Waldorfschulen in Berlin verbindet die Forderung nach mehr staatlichen Zuschüssen. Nach dem Privatschulgesetz müssen sie alle Kosten für Gebäude, Grundstücke, Sachmittel und Verwaltungspersonal selbst tragen. Die Lehrergehälter dagegen werden »Anerkannten Privatschulen« derzeit zu 90 Prozent vom Land Berlin erstattet, Waldorfschulen sogar zu 100 Prozent. Ab 1993 wird das Land die Kosten für die Lehrkörper an allen anerkannten Privatschulen in vollem Umfang tragen.
»Der Staat spart, was die Schüler ihn kosten würden«
Zufrieden sind die freien Schulen damit nicht: Sie fordern staatliche Zuschüsse auch für Gebäude, Verwaltung und Sachmittel. »Der Staat spart an uns ein, was unsere Schüler kosten würden, wenn sie auf öffentliche Schulen gingen«, sagt Helmut Anschau, Geschäftsführer der Waldorfschule im Märkischen Viertel. Das sei das Problem der Schulträger, hält Gerhard Knoll von der Senatsverwaltung für Schulen dagegen: »Wenn jemand das Grundrecht auf die Gründung von Privatschulen wahrnehmen will, heißt das nicht automatisch, daß der Staat ihm dafür sämtliche finanziellen Mittel zur Verfügung stellen muß.«
Der Arbeitskreis freier Schulträger fordert auch eine Verkürzung der Sechs-Jahres-Frist bis zur staatlichen Anerkennung. In dieser Zeit erhalten Privatschulen keine oder — falls sie von »bewährten Trägern« aufgebaut werden — um 15 Prozent reduzierte Zuschüsse. »Die Durststrecke ist viel zu lang«, findet Rechtsanwalt Vogel. »Wenn der Staat von Anfang an alles bezahlt, dann will jeder eine Schule aufmachen«, meint dagegen Gerhard Knoll.
Millionenschulden plagen Schule im Märkischen Viertel
Über finanzielle Schwierigkeiten klagte in den letzten Wochen vor allem die Waldorfschule im Märkischen Viertel, die im Aufbau begriffen ist und daher nicht die vollen Kosten für das Lehrpersonal überwiesen bekommt. Ihr Hauptproblem ist die Gebäudemiete von 240.000 Mark jährlich, die sie an den Bezirk Reinickendorf zahlen muß. Da die Schule einen Erweiterungsbau errichten will, wird sie einen Erbbauvertrag eingehen müssen, der mindestens hunderttausend Mark mehr pro Jahr kosten wird. »Dann müßten wir das Schulgeld in unzumutbarer Weise erhöhen«, sagt Geschäftsführer Anschau. Schon heute habe seine Schule 1,6 Millionen Schulden. Die Waldorfschule fordert vom Bezirk die Festsetzung einer rein symbolischen Miete, die die Landeshaushaltsordnung jedoch nicht zuläßt: Sie verpflichtet die Bezirke, für öffentliche Gebäude die ortsübliche Miete zu verlangen.
Auch die Waldorfschulen in Zehlendorf und Kreuzberg haben ihre Gebäude von den Bezirken gemietet. Die große Mehrzahl der sechzig Berliner Privatschulen besitzt dagegen eigene Grundstücke und Gebäude. Trotzdem sind auch sie an staatlichen Zuschüssen für die Erhaltung ihrer Gebäude interessiert. Nur zwei Drittel der Kosten der katholischen Schulen trage das Land Berlin, rechnet Schulrat Schweier vor, in Bayern dagegen seien es 95 Prozent. Immerhin begrüßt er die volle Erstattung der Lehrergehälter ab 1993: »Berlin ist auf dem Wege der Besserung.« Miriam Hoffmeyer
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