■ Die Diffamierung Brandts und ihre möglichen Spätfolgen: Verdrängte Haßkampagne
Was war das für ein Gegeifere, welch ein Haß schlug ihm entgegen, wie wurde dieser Mann diffamiert. Der „Emigrant“, das „Werkzeug Moskaus“, der „uneheliche Sohn“, „der mit dem falschen Namen“. Willy Brandt, das unehelich geborene Arbeiterkind aus Lübeck, der junge Sozialist, der 1933 emigrieren mußte, war, vor allem seit er 1957 Regierender Bürgermeister von Berlin wurde, Zielscheibe einer Verleumdungskampagne, die immer noch ihresgleichen sucht. Adenauer benutzte in den Wahlkämpfen der sechziger Jahre gnadenlos die vermeintliche Schwachstelle des „Kandidaten“, um die Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber Willy Brandt zu mobilisieren. Selbst nach dem Mauerbau verkniff sich der „Alte“ nicht, Brandt „alias Frahm“ zu titulieren. In der rechtsradikalen Presse überboten sich die Haßtiraden, immer neue „Enthüllungsgeschichten“ sollten beweisen, daß dieser Mann im „Solde des Weltkommunismus“ gegen Deutschland und die Deutschen arbeitete. Wie kaum eine andere Persönlichkeit hatte die Biographie und die Persönlichkeit Willy Brandts die nachkriegsdeutsche Rechte zu diesen hysterischen Reaktionen herausgelockt.
Immerhin, die Kampagnen erreichten nicht ihr Ziel. Der uneheliche Arbeitersohn und Emigrant schaffte es. Willy Brandt wurde vielleicht auch gerade wegen der Diffamierungen zur Symbolgestalt eines neuen, demokratischen Deutschlands. Doch immer noch wollten es viele nicht wahrhaben, daß mit der Übernahme der Macht durch ihn die Nachkriegszeit beendet wurde. Der Haß, der ihn verfolgte, speiste sich nicht nur aus den kleinbürgerlichen Vorurteilen gegenüber dem proletarischen Milieu, sondern vor allem aus den Aggressionen jener, die selbst nach dem verlorenen Krieg die Kritik am Nationalsozialismus als Angriff auf Deutschland interpretieren wollten. Die Denkform, Hitler und Deutschland gleichzusetzen, ist ja nicht nur Bestandteil der Kollektivschuldthese. Sie war und ist lebendig bei jenen, die sich nicht aus dem Denken der Volksgemeinschaft lösen konnten. Die Emigranten sind dann folgerichtig Verräter dieses Zusammenhangs, der auf Gedeih und Verderb dem „Schicksal“ ausgeliefert ist. „Der wußte doch gar nicht, was wir durchzumachen hatten.“ Die Intensität des Hasses auf Willy Brandt war somit auch Gradmesser für die Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik.
Bedrückend ist, daß es dem konservativen Lager bisher nicht eingefallen ist, sich für die Kampagnen zu entschuldigen. Es ist nämlich wahrscheinlich, daß bei den Nachrufen und Würdigungen dieser Teil des Umgangs mit Willy Brandt in bester deutscher Tradition ausgeblendet und verdrängt wird. Vielleicht ist der Weg dorthin auch deswegen versperrt, weil nicht einmal in den neunziger Jahren das Denken in den Kategorien der „Schicksalsgemeinschaft“ überwunden ist. Es wird weiterhin reproduziert, worauf die Diffamierung Willy Brandts begründet war. Erich Rathfelder
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