: Die Ritter der Kokosnuß
Der Tag, an dem Kolumbus America(n Football) entdeckte und ungekrönter König des Touch-Down wurde ■ Von Matti Lieske
Hispaniola (taz) — Auf Hispaniola, der lieblichen Insel im Karibischen Meer, war ein wunderbarer Tag angebrochen. Ein klarer Himmel wölbte sich über der Bucht, von der See her kam ein leichtes, aber stetiges Lüftchen herbeigeweht, das die Palmen und die an den Stümpfen ihrer Blätter aufgehängten Eingeborenen sanft hin- und herwiegte, die Wellen plätscherten an den Strand, und die Haifische sprangen im Wasser umher wie junge Hunde.
Nur gelegentlich wurde die idyllische Stille durch ein schepperndes Quietschen entweiht. Dies bedeutete zumeist, daß sich einer der spanischen Soldaten aufgerappelt hatte, um die in Anbetracht der massiven Rüstungen mühselige Prozedur eines Toilettenbesuchs in Angriff zu nehmen. Viel mehr Gründe, sich von der Stelle zu rühren, gab es nicht. Wenn ein Spanier etwas brauchte, hob er die Hand oder schnippte mit dem Finger, und schon eilte ein Eingeborener, so schnell es die Ketten an seinen Füßen erlaubten, das Gewünschte zu besorgen. Die Haifische beäugten den Vorgang mit Interesse. Sie wußten, wenn etwas schiefging, war Fütterungszeit.
Christoph Kolumbus lag in seiner Hängematte und war bester Laune, was ihn stark von seinen Soldaten unterschied und vorwiegend daran lag, daß er keine Rüstung trug. Seit Wochen versahen die iberischen Glücksritter ihren Dienst in überaus mürrischer Stimmung. Zwar waren ihre Rüstungen wunderbar martialisch anzuschauen und von elegantem Zuschnitt — schließlich hatte sie ein berühmter Kriegsgerätedesigner aus Toledo entworfen —, aber sie hatten gewisse Nachteile. Innendrin herrschten in der Regel Temperaturen nahe dem Siedepunkt, Abkühlung brachten nur die sporadischen subtropischen Gewitter. Dann aber gaben die Rüstungen hervorragende Blitzableiter ab, was dem spanischen Inhalt zumeist wenig Vergnügen bereitete. Ein Ablegen des Panzers kam nicht in Frage, da die Iberer fürchteten, sich dann zu wenig von den Einheimischen zu unterscheiden, und keine Lust verspürten, sich irrtümlich von einem ihrer Kollegen niedermetzeln zu lassen.
Kolumbus blieb als eingefleischter Zivilist von solch irdischem Jammer unbehelligt. Er hatte gerade einen dieser länglichen Glimmstengel fabriziert, deren Herstellungsgeheimnis ihm die Indianer verraten hatten, zündete ihn an, nahm einen tiefen Zug, betrachtete das wohlgelungene Werk seiner geschickten, sonnenverbrannten Hände und brummte zufrieden: „Von nun an sollst du manita roja heißen.“ Er tat einen weiteren Zug, hüstelte verhalten, verschluckte sich sodann und murmelte nach einem heftigen Hustenanfall mit hochrotem Kopf: „Caramba, que desgracia“, was so-
viel heißt wie: „Himmel, Arsch und Zwirn, welch ein Kraut.“
Träge griff er zu der Zeitung, die neben ihm lag. Es war die neueste Ausgabe von El Pais, etwa sechs Monate alt. Kolumbus begann zu lesen, und alsbald brach er in heftiges Fluchen aus. Zwei wichtige Spieler seines Lieblingsvereins FC Sevilla waren von der Heiligen Inquisition für ein Jahr gesperrt worden, und die Ergebnisse der italienischen Liga wurden überhaupt nicht vermeldet, so daß er weiter im Ungewissen schwebte, ob sein Heimatclub Sampdoria Genua den Klassenerhalt geschafft hatte.
Während er verzweifelt vor sich hinstierte, hörte er plötzlich ein zischendes Geräusch. Im selben Au
genblick spürte er einen Schlag an der Hand, und in hohem Bogen flog seine Zigarette in den Sand. Irritiert blickte Kolumbus sich um. Ein gewaltiger Muskelberg von Indianer kam in schnellem Lauf herbei, blieb vor der Hängematte stehen und grinste freundlich. Dann setzte er einen Finger auf die Nase des Kolumbus und sprang, diese als Fixpunkt benutzend, erstaunlich behende über Hängematte und Entdecker hinweg. In einiger Entfernung hob er eine am Boden liegende Kokosnuß auf und verschwand im Palmendickicht. Kopfschüttelnd sah ihm Kolumbus nach, doch es dauerte nicht lange, bis die Kokosnuß erneut geflogen kam. Diesmal konnte der Hispano-Genueser rechtzeitig in Deckung gehen, aber mit der Gemütlichkeit war es vorbei. Ein ums andere Mal kam die Kokosnuß angesaust, und langsam wurde Kolumbus, der sich um seine konquistadorische Ruhe gebracht sah, ernstlich sauer.
Wütend sprang er auf, schnappte sich die Nuß des Anstoßes und rannte, so schnell ihn seine vom Müßiggang erschlafften Füße trugen, dem Meer zu, um das lästige Objekt dortselbst zu versenken.
Während die Haie voller
Miß-
trauen dem verdächtigen Treiben zuschauten, sah sich Kolumbus unversehens einer Horde entschlossen blickender Indianer gegenüber, die offensichtlich nicht beabsichtigten, ihn mit seiner Beute entkommen zu lassen. Von allen Seiten drangen sie auf ihn ein, versuchten ihn festzuhalten, klammerten sich an ihn, zogen ihn an den Haaren, hechteten nach ihm und boxten ihn in die Magengrube. Kolumbus aber wich den Angriffen voller Geschick aus, schlug Haken wie ein orientierungsgestörter Hase, warf seine Peiniger gleich schockweise in den Sand, schüttelte schließlich alle Verfolger ab und schleuderte die Kokosnuß, als es ihm zu bunt wurde, einfach einem seiner Soldaten zu, der das Schauspiel nicht ohne Vergnügen betrachtet hatte. Mit dem Vergnügen war es schlagartig vorbei, als sich drei besonders fette Indianer gleichzeitig über ihn warfen und ihn unter sich begruben.
Der Schiffsklempner brauchte drei Tage, um den Unglücksraben aus den Trümmern seiner Rüstung zu schälen, und von diesem Tag an redete der Mann nur noch wirres Zeug und brach jedesmal in Tränen aus, wenn er einer Kokosnuß ansichtig wurde. Kolumbus hatte sich indessen wütend umgedreht, bereit, dem Zorn des einheimischen Volkes entgegenzutreten, dem er schließlich sein Spielzeug entwendet hatte. Die Indianer standen jedoch wild applaudierend da, schwenkten bunte Fähnchen, trampelten mit den Füßen und riefen immer wieder begeistert seinen Namen.
Einige Tage darauf — Kolumbus erläuterte seinen blechernen Untergebenen gerade, wie glücklich sie doch seien, keinen Sonnenbrand bekommen zu können — erschien eine indianische Delegation im Lager. Sie hatten merkwürdige Kleidungsstücke an, die eindeutig den spanischen Rüstungen nachempfunden waren. Diese stülpten sie Kolumbus über und bedeuteten ihm mitzukommen. Widerstrebend folgte Kolumbus, und bald sah er sich in einem großen Talkessel. An den Rändern saßen etwa 100.000 Leute, während in der Mitte gepanzerte Gestalten herumsausten, als gälte es ihr Leben. Kolumbus war im Nu mittendrin. Langsam fand er Gefallen an der Sache, besonders als er begriff, worum es ging. Um eine Kokosnuß nämlich, mit der er nichts anderes zu tun hatte, als ein paar Tage zuvor am Meer. Auffangen, losrennen, wegwerfen. Von Zeit zu Zeit durfte er sich am Rande des Feldes ausruhen, wo ihm ein ekliges braunes Gesöff gereicht wurde, von dem er laufend rülpsen mußte. Junge Mädchen mit Federbüschen tanzten um ihn herum, Männer mit Schlägermützen befragten ihn nach seinen Eindrücken, Erdnußverkäufer schwirrten herbei und von allen Seiten wurde gebrüllt: „Go, man, go!“
Ohne Zweifel beherrschte Kolumbus das Spiel am besten von allen. Gekonnt seine Körpertäuschungen, wuchtig seine Bodychecks, knallhart sein rechter Aufwärtshaken. Das beste aber waren seine versteckten Fouls, die er bei den Junioren von Sampdoria gelernt hatte: wirkungsvoll und von ausgesuchter Fiesheit. Niemand konnte Kolumbus widerstehen, und als am Schluß der Sieg seiner Mannschaft feststand, hallte das Stadion von „Columbo, Columbo“-Sprechchören wider. Inmitten des Jubels wurde ihm ein merkwürdiges schwarzes Gebilde aus zwei Muscheln überreicht, aus dem eine labernde Stimme tönte: „You're the goddamn best sucker I've seen, since I am the goddamn president of this goddamn country.“ Dies war der Moment, in dem Kolumbus begriff, daß er nicht in Indien gelandet war.
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