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Aufbruch in die Neue Welt

Klaus Manns Essaysammlung „Der amerikanische Traum“  ■ Von Elke Schubert

Die Entdeckung der „Neuen Welt“ hat die Phantasie zahlreicher Dichter, Historiker, Maler und Musiker beflügelt. Entsprechend unübersichtlich die daraus entstandene Fülle von Romanen, Gemälden und Kompositionen: Landschaft, Menschen und Kultur in dieser Terra incognita boten ausreichend Stoff für Utopien und Träume, auch ein Arbeitsfeld für wissenschaftliche Forschung. Nicht wenige Intellektuelle und Künstler haben sich in den letzten Jahrhunderten aufgemacht, um diese unbekannte Welt kennenzulernen und ihre Träume an der Realität zu messen. Ihnen gilt Klaus Manns Essaysammlung „Der amerikanische Traum“, eine Hommage an die USA, jenen Staat, in dem sich Mann als willkommener Gast aufgenommen fühlte, und die er als Soldat und Journalist für die Armeezeitung The Stars and Stripes im Krieg gegen Nazideutschland unterstützte.

Die Motivation der Reisenden, um die es Klaus Mann geht, hätte gegensätzlicher nicht sein können. Er stützt sich auf ihre Tagebuchaufzeichnungen, Zeitungsartikel, Bücher und Romane, in denen sie auf unterschiedliche Weise — je nach Beruf und Berufung — ihre Erfahrungen niederschrieben. Und doch setzt sich aus ihren ausschnittartigen, oft bruchstückhaften Zeugnissen ein Bild von Amerika zusammen, in dem Vergangenheit und Gegenwart eingefangen sind und das den fundamentalen Unterschied zum europäischen Kontinent deutlich macht. So lernten die Besucher beispielsweise schon im 19. Jahrhundert die Macht der öffentlichen Meinung, die karnevalesken Präsidentschaftswahlkämpfe und die Reduzierung zwischenmenschlicher Beziehungen auf blanken Kommerz kennen. Nicht alle haben in den USA gefunden, was sie gesucht hatten — oft war es die Lösung ihrer seelischen oder monetären Probleme —, und deshalb schufen sie sich ihr Traumamerika.

So auch der Dichter Francois René de Chateaubriand, der sich 1791, zwei Jahre nach der französischen Revolution, auf den Weg machte, um mit dem Idealbild des rousseauschen edlen Wilden Kontakt aufzunehmen. Chateaubriands Position zur französischen Revolution bleibt zwar einigermaßen diffus, aber er hat sich zumindest für das Menschenbild der Aufklärung begeistert. Die Enttäuschung war zwangsläufig groß, denn die edlen Wilden, das heißt die nordamerikanischen Indianerstämme, waren mit ihrem aussichtslosen Kampf gegen die Übermacht der Kolonialherren beschäftigt. Es ging um Landverteilungskämpfe, um das nackte Überleben, da blieb nicht viel Zeit und Muße, gut und edel zu sein. Wahrscheinlich hat Chateaubriand niemals mit einem Ureinwohner sprechen können, und deshalb sind seine Aufzeichnungen nichts als Legenden, die dem europäischen Leser wenig Aufschluß über das Land und seine Bewohner gaben. Aber es waren schließlich nicht seine Betrachtungen über Amerika oder seine, wie Klaus Mann bemerkt, fehlerhaften und oberflächlichen Forschungsergebnisse über Flora und Fauna des neuen Kontinents, die ihn berühmt gemacht haben, sondern seine visionären und der Romantik verpflichteten Schriften. Amerika war ein Mißerfolg in einer ganzen Reihe von Mißerfolgen seines Lebens, Spuren hat es in seinem Werk kaum hinterlassen.

Die Künstler kamen — mehr oder weniger — des Geldes wegen, und nicht etwa weil sie neugierig auf den neuen Kontinent waren. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts — die Vergnügungsindustrie boomte bereits — konnten findige Agenten Schauspielern, Musikern und Autoren so viel Geld und vor allem ausverkaufte Konzerthallen bieten, daß diese sogar die damals noch sehr lange und erschöpfende Reise per Schiff nicht scheuten. Einige trieb tatsächlich die blanke Geldnot — etwa Tschaikowsky, den seine Gönnerin von einem Tag auf den anderen fallen ließ, und der sich nie mit Amerika anfreunden konnte —, andere der Umstand, daß sie sich mit ihren Agenturen überworfen hatten, wie die berühmte Schauspielerin Sarah Bernhardt. Anton Dvorak bildete in diesem illustren, von Legenden umwobenen Kreis die Ausnahme. Er fand in Amerika, in den tschechischen Kolonien der Goßstädte, seine Heimat wieder und gilt als einer der ersten, die sich — grand choc — für die Musik der Schwarzen begeisterten, ja, sie sogar als die amerikanische Musik schlechthin feierte. Seine Symphonie „Aus der Neuen Welt“, mit der Dvorak dem neuen Kontinent seine Reverenz erwies, beginnt denn auch konsequent mit Elementen aus dem Gospelsong „Swing low, sweet chariot“.

Kamen die Künstler wegen des Geldes oder wegen der Anerkennung durch ein Publikum, das sie verstand, so fuhren die Politiker in die USA, um konkrete Unterstützung für ihr Land oder für ihre Sache zu erbitten. Ihr Scheitern war wegen der strikten Nichteinmischungspolitik der Vereinigten Staaten vorprogrammiert. So hatte sich der ungarische Freiheitskämpfer Lajos Kossuth 1851 konkrete militärische Intervention für sein von den Österreichern besetztes Land erhofft — die ihm nicht zuteil wurde. Es sollte noch mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bis die USA zum ersten Mal in einen auf europäischen Territorium tobenden Krieg eingriff.

Leo Trotzki besuchte den Neuen Kontinent kurz vor Ausbruch der Oktoberrevolution 1917 und lebte für zwei Monate in einem Arbeiterviertel in New York. Sein Aufenthalt war mit der Absicht verbunden, das amerikanische Proletariat für die Weltrevolution zu gewinnen. Man spürt beim Lesen sofort die Aversionen Manns gegen den russischen Revolutionär, der zwei Jahrzehnte später in Mexiko sein letztes Exil und seinen Tod finden sollte. Obwohl Mann seine Informationen offensichtlich aus Trotzkis Autobiographie „Mein Leben“ bezieht (man merkt es an den von ihm zitierten Anekdoten), reduziert er Trotzkis Aufenthalt auf dessen Rolle als schlechter Vater, der seine beiden halbwüchsigen Söhne für die Revolution in Rußland begeistern will, und das, obwohl sie sich offensichtlich in New York sehr wohl fühlen und von den „Segnungen“ des Kapitalismus wie Kaugummi, Baseball und Eiscreme mehr als hingerissen sind. Einmal — kurz vor der Abreise, als in Moskau das bedeutende, lange erwartete Ereignis endlich eingetreten ist — geht der jüngere Sohn Serjoscha in den Straßenschluchten der Bronx verloren. In Trotzkis Autobiographie wird dieser Vorfall (der Junge wird von seiner Mutter von einem Polizeirevier abgeholt) als amüsante Begebenheit erzählt. Bei Klaus Mann ist Trotzki der fanatische Politiker, der seinen Vaterpflichten nicht nachkommt. Er selbst hat angeblich Serjoscha abgeholt und sich bei den netten Polizisten mit der Begründung entschuldigt, er sei zu „beschäftigt“ gewesen, um auf seinen Sohn aufzupassen, was ihm natürlich sofort die Antipathie der Beamten beschert. Anschließend führen Vater und Sohn ein fiktives Gespräch, in dem Mann seine ganzen Vorurteile bündelt und sich auf die Seite des angeblich verängstigten Jungen stellt. Das Gespräch ist unerträglich kitschig, und man mag kaum glauben, daß es möglich ist, Trotzki solche Worte in den Mund zu legen.

Viel überzeugender geraten Klaus Mann andere Porträts. So verfolgt er die Geschichte des schwedischen Industriellen Ivan Kreuger, dessen Selbstmord die Aktienkurse in der ganzen Welt abstürzen lassen, oder die des dänischen Schriftstellers Herman Bang, für den eine Lesereise in den USA zur Reise in den Tod wird.

Selbstverständlich fehlen in Manns Essaysammlung jene nicht, die über Amerika schrieben, ohne das Land jemals besucht zu haben. Ihr Traumamerika ist bevölkert mit edlen Indianerhäuptlingen, tapferen Siedlern, Schurken und kleinen Gaunern. Sie schufen aus ihrer Phantasie und aus der Lektüre von Reiseberichten gigantische Landschaften und Städte. Ihr bekanntester Vertreter ist Karl May, der erst als alter Mann die USA besuchte und, nach der Überlieferung, nicht sonderlich beeindruckt gewesen sein soll. Schon daß Hitler ein begeisterter Leser der Karl-May-Romane war, dürfte diesen typischen Deutschen für Klaus Mann suspekt gemacht haben. Zu sehr wird die moralische und intellektuelle Überlegenheit der cleveren Weißen demonstriert. „... gänzlich unamerikanisch (ist) vor allem der selbstgerechte Erzähler, Old Shatterhand-Karl May. Seine kalte Grausamkeit und vor allem sein völliger Mangel an Humor weisen ihn sogar als entschieden antiamerikanischen Typ aus. Er verkörpert nur das, was sich ein kleiner Gauner aus Sachsen unter einem amerikanischen Abenteurer vorstellt.“

Ganz anders Franz Kafka: Sein einziger zaghaft optimistischer Roman, in dem der Held einen vollen Namen trägt (und nicht die verhängnisvolle Abkürzung K.), spielt ausgerechnet in Amerika. Karl Roßmann ist die Ausnahme unter Kafkas Figuren, weil er sich nicht einem unabänderlichen Schicksal ausgesetzt sieht. Er wird ein Bewohner des neuen Kontinents, für Klaus Mann ist er in einer Welt ohne Inseln der Einwanderer schlechthin. Karl hat eine Verpflichtung, die er bereit ist einzulösen: „... ich bin weder berühmt noch ein Besucher. Jetzt ist nicht der geeignete Zeitpunkt, Besuche zu machen: es ist Zeit, Stellung zu beziehen. Möge ich die richtige Seite gewählt haben — das muß nicht diejenige sein, die leicht gewinnt, sondern die, welche den Sieg verdient. Ich wünsche mir keine andere Auszeichnung.“

Und das heißt auch, sich einzumischen. Sich einzumischen wie die Frauen, die aus Europa kamen, um amerikanische Gruppen in ihrem Kampf für die Abschaffung der Sklaverei zu unterstützen. Man merkt, daß ihnen und Kafkas Kunstfigur Klaus Manns uneingeschränkte Sympathie gehört.

Klaus Mann: „Der amerikanische Traum“. edition Spangenberg, 370 Seiten, 58 Mark.

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