: Sonst alles klar, Aufklärer?
Vor dem Amtsgericht: Polizeizeugen uneins / ■ Wer bewarf wen
?
„Wie konnte es unter diesen Voraussetzungen überhaupt zu einer Anklage kommen?“ fragte sich gestern nicht nur Verteidiger Andreas Beuth. Seinem Mandaten Christian S. sollte vor dem Amtsgericht der Prozeß gemacht werden. Vorwurf: Er habe am 3. Juni 1991 bei der Räumung des besetzten Hauses Tegetthoffstraße 1 (Eimsbüttel) einen Gegenstand auf die Polizei geworfen. Doch die fast vierstündige Vernehmung der Belastungszeugen Haruk Harms und Jens Polenske — beide Fahnder der berüchtigten „16E“-Schicht an der Lerchenwache — erbrachte wenig Erhellendes.
Die beiden „zivilen Aufklärer“ boten äußerst widersprüchliche Beobachtungen. Beide wollen gesehen haben, wie ein Mann an einer Barrikade in der Bismarckstraße in Richtung Polizeikette einen „faustgroßen Gegenstand geworfen“ habe. Er sei ihnen wegen seiner Bekleidung aufgefallen. Polenske: „Rotes Tuch, Grüne Kapuze.“ Harms: „Maurerhose, Sturmhaube, Stifte in der Armtasche“. Polenske glaubte sich zu erinnern, den Mann dann „ununterbrochen“ auf seinem Weg um den Häuserblock, dann im Pulk von Demonstranten im Eppendorfer Weg bis zu seiner Festnahme in der Osterstraße observiert zu haben. Harms hingegen war der festen Überzeugung, S. sei durch die Tegetthoffstraße zum Eppendorfer Weg gegangen. Harms: „An der Ecke Tegetthoffstraße/Eppendorfer Weg habe ich Herrn S. wiedererkannt.“ Woran? „An der Hose und den auffälligen Schreibstiften.“
Was damals an der Barrikade geflogen sei, — ob „Stein“ oder „fleischrote Tomate“ — konnten beide Beamte nicht angeben. Und ob noch weitere Personen mit grünen Kapuzen anwesend waren, mochten die Fahnder „nicht ausschließen“. Wohin der Gegenstand geflogen war, wußten die Aufklärer ebenfalls nicht aufzuklären.
Obwohl die Anklage davon ausgeht, daß der angebliche Wurf den Polizisten galt, bekam gestern selbst Staatsanwalt Maruschat gewisse Zweifel, ob überhaupt Beamte in Reichweite des Geschosses gestanden haben. Dieser Frage soll nun am nächsten Verhandlungstag (2. November) durch die Vernehmung weiterer Zeugen nachgegangen werden. Denn nach jetzigem Sachstand hätte Christian S. sein Geschoß auf die Demonstranten geworfen. Die standen noch vor der Polizeikette in über 50 Metern Entfernung.
GAL-Justizreferent Peter Mecklenburgs genervter Kommentar: „Wir werden einen Antrag stellen, daß Senatorin Peschel-Gutzeit sich einmal einen Tag hierhinsetzt und einen Eindruck vermittelt bekommt, mit was für hanebüchenen Geschichten sich ihre überlastete Justiz tagelang herumschlägt.“ Kai von Appen
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