: Schwere Brocken
■ „Fishing for Documents“ – Ein Filmfest im Babylon/Mitte
Worauf auch immer Romuald Karmakar seine Kamera hält: Es herrscht Krieg. Da hilft es nicht, daß er die Kontraste in den Bildern leicht verwischen läßt und daß die Szenerie in sanftem Halbdunkel bleibt. Es soll auch nichts helfen. Karmakar zeigt Männer, wie sie nun mal sind: hart. Ob sie nun Hahnenkämpfe veranstalten („Gallodrome“), Kampfhunde halten („Hunde aus Samt und Stahl“) oder sich zu ihrem Vergnügen die Köpfe wundschlagen an Spindtüren und Türholz („Coup de Boule“): Keine mildernde Zeitlupe fängt die Schläge ab und kein Kamera-Schwenk erlöst die Zuschauer vom Lächeln der allzu hart Gesottenen.
Draufhalten: „Fishing for Documents“, ein Dokumentarfilmfest im Babylon/Mitte, präsentiert Programme von FilmemacherInnen, die vor nichts, aber auch gar nichts zurückschrecken. Da ist zunächst Karmakar, der für seine Filme der Gewalt förmlich hinterherläuft. Nichts scheint widerlich und brutal genug, sich abzuwenden. Der deutsch-französische Regisseur schaut zu und hält fest, was sich ihm bietet.
Weit davon entfernt, sich abzuwenden, ist auch die amerikanische Dokumentaristin Juliet Bashore. Für ihren Film „Kamikaze Hearts“ begibt sie sich in die Pornoszene von Los Angeles. Sie zeichnet das Porträt zweier Darstellerinnen, die sich lieben. Tigr und Mitch setzen ihre Beziehung in Szene, spielen sich selbst – im Porno ebenso wie für Bashore. Sie können nicht mehr anders. Aber die Filmemacherin geht über die ursprüngliche Porträtabsicht hinaus. Allen Ekel, der die beiden Frauen umgibt, filmt sie gleich mit. Sie beobachtet die Arbeit von Tigr und Mitch mit (im Wortsinn) zwiegespaltenem Blick: Ein Auge vor, ein Auge hinter den Kulissen. Damit entlarvt sie das Schauspiel.
Es findet sich auch weniger schwer verdauliches im Festivalprogramm: Harry Rag etwa, der nach der ersten richtigen Wahl in der DDR herumreiste und viele wunderschöne Bilder gesammelt hat, wie sie allerdings in den vielen Fotobänden aus und über den Osten auch schon zu finden sind. Oder Shelly Silver, die im Grenzbereich zwischen Dokumentation und Fiktion experimentiert. Silver arbeitete als Videocutterin, bevor sie begann, selbst Filme zu machen. Sie schlägt reichlich Kapital aus dieser Vorbildung. Gekonnt schneidet sie Bilder, Text und Erzählabläufe aus- und gegeneinander: Leichtfüßiges Spiel mit Rhythmus und Dynamik, scharf kontrastiert und rasant im Tempo. Leichtigkeit ist jedoch eher die Ausnahme auf diesem Festival. Fishing for Documents: Die meisten Brocken, die hier hingeworfen werden, sind schwer. Frederike Freier
16.-18. und 23.-25.10. im Babylon/ Mitte, jeweils ab 20 Uhr. Außerdem im Programm: Hanno Baethe und Jayce Salloum. Begleitend dazu im Frisör der Botschaft, Kronenstraße 3, jeweils von 10 bis 17 Uhr Seminare mit den Filmemachern.
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