Der Bundestag entschließt sich zum Asyl

Debatte über ein Grundgesetz in der Verfassung auf niedrigstmöglichem Niveau/ SPD verweigert Teilnahme an der Abstimmung/ Interpretationsübungen zwischen FDP und CSU  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Da Unions-Fraktionschef Wolfgang Schäuble im letzten Jahr keine Bundestagsrede ohne den Satz: „Im übrigen wiederhole ich, daß das Asylrecht geändert werden muß“ gehalten hat, war von ihm gestern nicht viel Neues zu erwarten.

Auffällig an der ersten Rede der Bundestagsdebatte war eher die Zwischenrufhäufigkeit. „Schämt Euch“, rief es aus der Union zur SPD. Und zurück: „Man braucht nur die CSU-Plakate anzusehen, um zu wissen, wer sich schämen muß.“

Sicher waren die Mütter und Väter des Grundgesetzes klug genug zu wissen, daß nicht jeder Artikel ihres Werkes bis in alle Ewigkeit gelten kann. Aber ob sie sich hätten vorstellen können, daß Fundamente ihrer Verfassung in den kleinlichen Prozeduren der Parteitaktik zerrieben und zerredet werden?

Der Bundestag debattierte gestern über den Satz des Grundgesetzes, den der Kanzler einmal als „Bringschuld der Deutschen“ bezeichnet hat, wie SPD-Fraktionschef Klose zitierte. Das Niveau der Parlamentssitzung entsprach der Art ihres Zustandekommens in trauriger Weise.

Der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Koalition, nach dem Artikel 16 geändert werden soll, ist ein wochenlanges Gerangel innerhalb der Union und zwischen den Fraktionen vorausgegangen. Fast aus dem Affekt heraus hatte die Union Anfang September beschlossen, in der Asylfrage Flagge zu zeigen und die SPD vorzuführen.

Eine namentliche Abstimmung über den Gestzesantrag der Union im Oktober, lautete die Forderung, die die Fraktionsführung erst nachträglich und unter Verweis auf die Geschäftsordnung abbiegen konnte.

Die CSU trumpfte darauf mit einem eigenen Gesetzentwurf auf, die FDP zierte sich bis zu ihrem Parteitag. Die tief zerstrittene SPD hatte sich derweil darauf zurückgezogen, daß die Koalition keine gemeinsame Position vorweisen könne.

Die liegt seit Dienstag vor und ist seit gestern Beschluß des Bundestags. Die SPD, mit dem Artikel 16 aufgrund historischer Erfahrung besonders eng verbunden, hatte sich selbst zur Nicht-Politik verurteilt, denn erst der Parteitag im November wird über ihre Position beschließen.

An dem Tag also, an dem der Bundestag das erste Mal mehrheitlich feststellte, das Grundrecht auf Asyl müsse abgeschafft werden, trat die SPD lediglich durch die Rede ihres Fraktionschefs in Erscheinung. An der Abstimmung nahmen die sozialdemokratischen Abgeordneten nicht teil.

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion mußte, da die SPD zur Sache nicht reden wollte, zehn Redeminuten damit bestreiten, daß und warum die SPD das „taktische Manöver“ nicht mitmacht. Klose beklagte, daß diese Debatte zur Annäherung nicht beitragen könne, weil die SPD bloß vorgeführt werden solle.

Auf den Entschließungsantrag der Koalition selbst ging er nicht ein, mahnte allerdings an, daß eine Altfallregelung und die Realisierung des Beschleunigungsgesetzes ausstehe. In der schwierigen, „ja sogar quälenden Diskussion“ der SPD spiele die Frage eine große Rolle, warum denn die Verfassung geändert werden soll, bevor nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien.

Folglich waren die Differenzen zwischen den Regierungsfraktionen der interessantere Punkt. FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms hob als wichtigen Interpretationspunkt seiner Partei hervor, daß das Inidividualrecht auf Asyl erhalten sei.

Im Entschließungsantrag heißt es dazu wörtlich: „Politisch Verfolgte im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention werden auch weiterhin in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt.“ Für Solms leitet sich aus dieser Formulierung der Anspruch auf den Rechtsweg ab. Nur auf Grundlage dieser Interpretation, so der Liberale Hirsch, sei sein Ja zum Antrag zu verstehen.

CSU-Landesgruppen-Chef Wolfgang Bötsch las die von der CSU anstelle des Gerichts vorgesehenen Beschwerdeausschüsse in das Papier hinein — wiederum zum Ärger von Hirsch und Baum (FDP): „Wir sind überzeugt, daß eine Rechtsschutzmöglichkeit die Entscheidung eines Richters voraussetzt.“

Am Ende der Debatte begründete Wolfgang Lüder (FDP) sein Nein. Die Debatte verletze die Grundregeln der Verfassungspolitik. „Nicht Druck auf die Minderheit, sondern breite Überzeugung soll einer Verfassungsänderung vorausgehen.“