Univiertel - Stadtmodell der Zukunft?

■ Ungewöhnliche Ideenskizze eines Hamburger Planerteams: Mit einem weit geringeren Verbrauch an Luft, Energie und Fläche ließe sich ein Mehr an Lebensqualität und Wirtschaftskraft erzielen

eines Hamburger Planerteams: Mit einem weit geringeren Verbrauch

an Luft, Energie und Fläche ließe sich ein Mehr an Lebensqualität und Wirtschaftskraft erzielen

Jeden Tag stirbt ein weiteres Stückchen Lebensqualität in Hamburgs Universitätsviertel. Die Bodenspekulation floriert, Mieten explodieren, Büros und Eigentumswohnungen wuchern. Dann endlose Autokarawanen, die den bunten Flickenteppich an der Schnittstelle der Stadtteile Rotherbaum, Harvestehude, Eppendorf und Eimsbüttel zu Hamburgs Smoghölle Nummer Eins machen.

Natürlich entspricht das Areal rund um Philosophenturm, Mensa sowie Hochschule für Wirtschaft und Politik nicht gerade dem, was Stadtplaner als Problemstadtteil bezeichnen, denn es brummt und wuchert. Und dennoch steht es gerade deswegen für die schleichende Vernichtung dessen, was einmal die europäische Stadt ausmachte: Kommunikation, dichter, oft zu enger Lebensraum, Kultur. Viele Stadtplaner und Soziologen haben die heutigen Millionenstädte längst aufgegeben. Sie seien nicht reformierbar, heißt es. Alles was mehr als 50000 Einwohner zählt, ersticke fast zwangsläufig an seinen Energie-, Müll- und Verkehrsproblemen.

Nicht alle Stadtplaner sind so pessimistisch. Heute weiß man, daß eine Renaissance städtischer Lebensqualität nur dann stattfinden kann, wenn die Stadtprobleme in einem Gesamtansatz angepackt werden. Die wichtigsten Bausteine einer solchen integrierten ganzheitlichen Strategie sind: Wohnen, Arbeiten, Konsum, Sozialeinrichtungen und Freizeit müssen wieder zusammenrücken, der Verkehr autoarm organisiert werden. Ziel ist ein neuer urbaner Lebensraum Stadt,

dessen entscheidendes Qualitätsmerkmal die „Nähe“ ist.

Das sind hohe Ansprüche: Sie verlangen den Stop und die Umkehr der heutigen scheinbar naturwüchsigen Haupttrends der Stadtentwicklung mit ihrer unerbittlichen Trennung aller Lebensfunktionen voneinander. Bleibt angesichts dieser gewaltigen Herausforderung die Vision einer neuen Stadtentwicklung Utopie? Der Optimismus einer jungen Planergeneration steht im umgekehrten Verhältnis zur Größe der Probleme. Ihr Credo: Gerade vor Ort lassen sich komplexe Probleme durchaus zukunftsweisend lösen. Größtes Problem bleibt die Politik, welche diesen neuen ganzheitlichen Ansätzen meist hilflos gegenübersteht.

Das Hamburger Universitätsviertel bietet ausgezeichnete Voraussetzungen als Experimentierstube einer neuen Stadtzukunft. Eine aktive und aufgeschlossene Bevölkerung, ein zukunftssicherer Dienstleistungsgigant — die Universität — als wirtschaftliches Rückgrat und ein ungeheurer Problemdruck bieten jene Mixtur aus Not und Chance, nach der sich Planer sehnen. Bereits Anfang der 80er Jahre entwarf der Humanist und Stadtplaner Abraham Beer für das Univiertel das Konzept eines fußläufigen Kultur- und Geistesstadtteils, aus dem die Autos weitgehend verbannt sein würden. Beers Konzept stieß in Hamburg auf allgemeines Gelächter und geriet völlig in Ver-

gessenheit.

In jüngster Vergangenheit aber sprudelt es nur so vor Ideen für das Univiertel: 1991 ging ein Breitband-Aktionsbündnis „Hoheluftchaussee“ mit Happening und Vorschlägen an die Öffentlichkeit. Ein Verkehrsberuhigungskonzept für das dem Univiertel im Norden vorgelagerte altbürgerliche „Generalsviertel“ sollte mit einer für Straßenbahn, Fahrräder und Fußgänger reservierten Hoheluftchaussee den Einstieg in die Rückeroberung des „Lebensraums Straße“ für ein citynahes Hamburger Wohnquartier bilden. Ein weiteres Aktionsbündnis von Initiativen, Studierende und

Grünen hat im Sommer die Forderung nach einer grundlegenden Verkehrswende im Univiertel vorgelegt, ein Konzept, das auch auf das Wohlwollen der Universitätsspitze stößt, die seit langem vom Hamburger Senat ein Zukunftskonzept für die Uni einklagt, welches Uniausbau, Lösung der Verkehrsprobleme und die bessere Integration der Uni ins Viertel anpackt.

Das Hamburger Planerbüro SCI hat jüngst eine Ideenskizze für eine Verknüpfung von Verkehrswende und Stadtteilentwicklung im Univiertel erarbeitet. Demnach könnte im Rahmen eines auf 10 bis 20 Jahre angelegten Experiments das Hamburger Universitätsviertel als europäischer Modellversuch für eine ökologische, soziale und ökonomische Revitalisierung urbanen Großstadtlebens dienen. Eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs auf 20 Prozent seines heutigen Niveaus, ein dezentrales Energie-, Müll- und Versorgungssystem gehören ebenso zu diesem Konzept wie eine langfristig anlegte Universitätsentwicklung. Ein eigenes Wohnraumkonzept sollte Wohnen für Studenten und Uniangestellte im Stadtteil möglich machen und durch gezielte Gewerbeansiedlung mit der Uni vernetzbare Dienstleistungsbetriebe anlocken.

Mit einem weit geringeren Verbrauch von Ressourcen (Energie, Luft, Fläche), so die SCI-Crew, könnte ein deutliches Mehr an Lebensqualität und Wirtschaftskraft

im Viertel verwirklicht werden. SCI visioniert die Quadratur des Kreises: Die Sanierung eines Stadtteils, die wegweisende Lösung von Verkehrsproblemen, die Zukunftssicherung der Universität und ein gutes Stück ökologisch und sozial verträgliches Wirtschaftswachstum soll auf einen Streich gelingen. Das Modell Univiertel würde zudem auf die ganze Stadt ausstrahlen, bei einem Erfolg auch die benachbarten Stadtteile „infizieren“ können. Sollte der große Modellwurf nicht gelingen, schade das auch nichts, so SCI. Denn: Die einzelnen Bestandteile des Modellprojekts machen auch schon für sich alleine Sinn. So lassen sich auch einzelne Teile der nach Art eines Bausteinkastens mit Erweiterungsmodulen angelegten Entwicklungsstrategie für das Univiertel verwirklichen.

Die heutige Stadtplanungsrealität sieht freilich ganz anders aus. Bezirk, Universität, Liegenschaftsamt, HVV und die zuständigen Behörden planen wild durch- und gegeneinander. Und kürzlich scheiterte selbst der Versuch einer SPD- Erneuerer-Combo, Wissenschaftler, Stadtplaner, Uni und SPD-Politiker in einem kreativen Unizirkel zusammenzubinden. Florian Marten