„Nur, was ist die gute Sache?“

Ein Abend mit Ostberliner Skinheads in Friedrichshain/ Sie nennen sich unpolitisch und sehnen sich nach DDR-Verhältnissen zurück  ■ Von Severin Weiland

Friedrichshain. Artig stehen sie auf, René, Krümel und Rotze. Drei Skinheads aus Ost-Berlin, drei Jungs zwischen 20 und 25 Jahren. Artig reichen sie die Hand, rücken sie die Stühle beiseite für den taz- Reporter und den Fotografen. Die Gäste im „Hühner-Gustl“, einer bürgerlichen Kneipe in Friedrichshain, sind für einen kurzen Moment abgelenkt, dann widmen sie sich wieder ihrem Bier und ihrem Kartenspiel. Aus den Boxen dudelt ein deutscher Schlager nach dem anderen, von Liebe ist viel die Rede und von Fernweh. Rotze verzieht ein Grinsen, so, als wollte er sich für die Musik entschuldigen. Ob es ihr Stammlokal sei? Nein, sagt René, aber man komme häufiger hierher. „Ist doch ein guter Aufenthaltsort.“ Hier in der Grünberger Straße treffen sie sich, René und seine Freunde, um miteinander zu reden, Bier zu trinken und, um gebratene Hühnchen zu essen – eine Spezialität der Gaststätte.

Während die Bestellungen aufgegeben werden, zeigt René die Narbe auf seiner Hand. Vor ein paar Wochen lag er noch im Krankenhaus, nachdem er zusammengeschlagen worden war. Den Abend haben sie alle noch gut in Erinnerung: Sie waren mit anderen Skins auf dem Weg zu einem Konzert im KOB, einem Treffpunkt der autonomen Szene in der Potsdamer Straße, wo an diesem Abend eine ihrer Lieblingsbands spielen sollte. Plötzlich wurden sie von türkischen Jugendlichen umringt. Es waren die Tage nach den Pogromen von Rostock, und Skins waren gleich Skins. Während Renés Freunde in eine nahegelegene Pinte fliehen konnten, hatte der zwanzigjährige Kfz-Lehrling Pech: Mit einer Eisenstange schlugen ihn die Angreifer zusammen, brachen seine rechte Hand, zerschrammten seinen Rücken. Zeitweilig war er bewußtlos. Später, im Krankenhaus, wurde seine Hand operiert, eine Metallplatte eingesetzt. „Wir haben gerufen: ,Wir sind keine Nazis, wir sind keine Nazis‘, aber sie haben draufgeschlagen, als hätten sie schon lange darauf gewartet“, erinnert sich Krümel. Und Rotze sagt: „Wir können uns doch keinen Aufkleber verpassen: Wir wollen nur unseren Spaß haben, laßt uns ins Ruhe.“ So ein Erlebnis schweißt zusammen und stutzt das Weltbild zurecht. Das KOB und die Potsdamer Straße sind seitdem für René und seine Freunde Sperrgebiet: „Auf Türkenstreß haben wir keine Lust mehr.“ Dabei ist René ein Junge mit einem gutmütigen Gesicht und einer sanften Stimme. Ein stämmiger Typ zwar, aber keiner, der in das Klischee vom brutalen Schläger hineinpaßt. Wie überhaupt niemand in der Gruppe: Weder Rotze, der die meiste Zeit auf den Tisch blickt und keinem in die Augen blickt, wenn er spricht, noch Krümel, der eine Schiebermütze trägt und dadurch ein wenig wie Nick Knatterton wirkt. Auch nicht die drei anderen Skins, die sich später dazugesellen werden, Jens, der Bundeswehrsoldat, ein Maler und ein junger Mann, der den ganzen Abend über schweigt.

Vorsichtig tastet die Gruppe ihre ungewohnten Gesprächspartner ab. „Ihr von der Presse“, sagt Rotze, „seid doch auch mit schuld, daß wir in so einem krassen Licht dastehen.“ Sie haben Angst, in eine Schublade mit den rechten Skins geworfen zu werden – deshalb auch keine Fotos, die womöglich mißbraucht werden könnten. „Unpolitisch“ nennen sie sich – und sind dabei doch nicht weniger politisch wie der Biedermann nebenan. Sie bestätigen sich gegenseitig wie alte Männer am Stammtisch: Daß „die Politiker“ zuviel verdienen und nichts täten, daß Frauen „nicht mehr auf die Straße gehen können“. Schuld ist die Politik – ein Reizwort, mit dem alle Schwierigkeiten dieser Welt verbunden werden: „Damit fängt doch die Kacke an. Ich war vor Jahren so drauf, daß ich über jeden Scheiß nachgedacht habe. Aber wenn du erst mal wirklich darüber nachdenkst, kriegst du den Frust“, sagt René und erntet schweigende Zustimmung. Renés Vater war zu DDR-Zeiten im Innenministerium. „Sie haben ihn entlassen, weil er in der SED war. Aber nicht jeder, der da drin war, war doch auch ein Verbrecher.“ Wie sein Vater, so hat auch René beim letzten Mal noch PDS gewählt. Und beim nächsten Mal? „Weiß ich nicht. Der Gysi, den fand ich einen unheimlich fähigen Menschen. Aber jetzt baut er zuviel Scheiß. Daß er zum Beispiel die Linksradikalen in Rostock unterstützt hat – verstehe ich nicht.“

Feindbilder aus Kreuzberg

Überhaupt das Thema Rostock: „Unheimlich Scheiße“ finden sie die Angriffe auf Ausländer. Doch es klingt eher wie eine gut geölte Litanei, die abverlangt wird in dieser für sie neuen Republik. Denn nur wenig später entlädt sich der Zorn auf jene, die fünfhundert Meter weiter in Kreuzberg leben. „Es muß was getan werden, um denen zu zeigen, daß hier nicht der Weg von West-Berlin gegangen werden kann“, sagt Rotze. Der Lehrling im Elektrobetrieb „Elpro“ fühlt sich bedroht – durch Ausländer, Hippies, Hausbesetzer. Deshalb habe er auch beim letzten Mal für die „Republikaner“ gestimmt: „Ich will nicht, daß Friedrichshain so wird wie Kreuzberg.“

Die Türken – das ist ihr Feindbild. Türken bekämen mit 16 ein Messer geschenkt, sie steinigten ihre Frauen, wenn „die mal einen anderen anschauen“. Ein Vorurteil jagt das andere. Der Türke ist nicht nur Ausländer, er ist das Synonym für die Bedrohung aus dem Westen. Was von dort kommt, ist ihnen fremd und suspekt. „Hier herrscht selbst im Betrieb immer noch mehr Solidarität als drüben“, sagt der 21jährige Maler. Wann immer es geht, meiden sie die Stadtteile jenseits der Spree. Es ist die Grenze, eine unsichtbare Linie, die Sicherheit und Gefahr scheidet. Sie wissen, daß sie als Skins im Westen – noch – mehr zu verlieren haben als im Osten: „Dort sind einfach zu viele Linke“, sagt Rotze. Der Osten bleibt ihre Heimat, ausstaffiert mit ein wenig Skinhead- Kultur. Eine Heimat, die zum festen Anker wird. Je länger die sechs über die DDR sprechen, um so verklärter wird der Blick zurück. Klar, sagt irgendwann René, klar sei das mit der Stasi „große Scheiße“ gewesen, aber „jede Diktatur zieht auch was Positives hinter sich her.“ Was? „Na, die Sicherheit in den Straßen, das war schon besser damals.“

Warum sind sie, René, Krümel, Rotze und die anderen, ausgerechnet Skins geworden, wo sie doch wissen, daß Skins seit Rostock zum Symbol des Bullterriers, des neuen SA-Schlägers geworden sind? Jens, der gerade seinen Wehrdienst in Oranienburg ableistet und früher „auch mal mit langen Haaren rumlief“, versucht eine Erklärung: „Da war irgendwann keine Alternative mehr. Jeder hält sich doch an seine Kumpels. Und wenn alle Skins werden, dann wirst du eben auch Skin.“ Zu den „Red- Skins“, jenen linken Glatzköpfen, die auf proletarisches Bewußtsein schwören und die neonazistischen Gegner bekämpfen, hatten sie nur kurzweilig Kontakt. Eine neue Identität fanden sie dort nicht: „Ich habe kein Bock auf ihr Gerede, daß du als bewußter Arbeiter ein Red-Skin sein mußt und der ganze Scheiß, das ist doch alles Kacke.“

Überhaupt die Linken. Auf die sind René, Krümel, Rotze, Jens und die anderen nicht gut zu sprechen. Nicht, weil sie sich zu den Skins der neonazistischen FAP hingezogen fühlen. (Jens: „Die verarschen einen doch auch nur mit ihrem Gelabere von 1933 und daß wir den Krieg noch mal gewinnen können.“) Was ihnen an den Linken fehlt, ist der Schuß Nationalismus, der in ihren Köpfen schwirrt. Denn „stolz auf unsere Kultur“, wie Krümel sagt, „muß man doch sein dürfen.“ Nur auf die Frage, was denn deutsche Kultur denn nun ausmache, darauf will Rotze und den anderen nichts einfallen. Kurz bevor sich die Gruppe verabschiedet, artig mit Handschlag, sagt René schließlich: „Ich treibe Sport, ich bin gesund, und für die gute Sache würde ich mich auch gerne einsetzen.“ Und nach einer kleinen Pause fragt er: „Nur, was ist die gute Sache?“ Die Jungs mit den kahlen Schädeln lachen. Aber es klingt nicht sehr fröhlich.